Entscheidungsstichwort (Thema)
Bearbeiten von Erstattungsansprüchen
Leitsatz (amtlich)
Zum “Bearbeiten von Erstattungsansprüchen” i. S. der VergGr. Vb Fallgruppe 25c BAT/OKK gehört auch die Durchsetzung der Ansprüche. Diese umfaßt die rechtliche Überprüfung der Einwendungen, weitere Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts und gegebenenfalls die Entscheidung, den Anspruch gerichtlich geltend zu machen sowie die Vorbereitung der gerichtlichen Geltendmachung.
Normenkette
BAT/OKK § 22, VergGr. Vb Fallgruppe 25c
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 02.02.1990; Aktenzeichen 18 (4) Sa 801/89) |
ArbG Dortmund (Urteil vom 23.02.1989; Aktenzeichen 2 Ca 4022/88) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 2. Februar 1990 – 18 (4) Sa 801/89 – wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin ist seit dem 1. April 1958 als Verwaltungsangestellte bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (Ortskrankenkassen) (BAT/OKK) Anwendung. Die Klägerin erhält Vergütung nach VergGr. Vc BAT/OKK.
Die Klägerin ist im Sachgebiet “Ersatz- und Erstattungsansprüche gegen Dritte, Sozialversicherungsträger und sonstige Verpflichtete; Leistungsgewährung und Abrechnung nach den Versorgungsgesetzen” beschäftigt. Ihr Aufgabenkreis umfaßt die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen gegenüber Unfallversicherungsträgern, der Landesversicherungsanstalt Westfalen, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte sowie der Arbeitsgemeinschaft für Krebsbekämpfung.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, daß ihre Tätigkeit das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. Vb Ziffer 25c der Vergütungsordnung A zum BAT/OKK erfülle. Sie sei zu 60 bis 75 v. H. ihrer Gesamtarbeitszeit mit der rechtlichen Prüfung und Geltendmachung von Erstattungsansprüchen gegenüber Unfallversicherungsträgern befaßt, so daß die tarifliche Anforderung “Bearbeiten von Erstattungsansprüchen gegen Sozialversicherungsträger” erfüllt sei. Auch stehe ihr “Entscheidungsbefugnis nach näherer Anweisung” im Tarifsinne zu.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, sie ab 1. November 1987 in die VergGr. Vb BAT/OKK einzugruppieren und entsprechend zu vergüten.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, daß die Tätigkeit der Klägerin die tariflichen Anforderungen der VergGr. Vb Ziffer 25c BAT/OKK nicht erfülle. Bearbeiten von Erstattungsansprüchen im Tarifsinne setze die rechtliche Prüfung, Geltendmachung und Durchsetzung der Ansprüche voraus. Der Klägerin obliege weder – bis auf wenige Fälle – die rechtliche Prüfung noch sei sie mit der Durchsetzung von Erstattungsansprüchen befaßt. Diese sei allein dem Sachgebietsleiter übertragen. Außerdem habe sie keine Entscheidungsbefugnis.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht erkannt, daß der Klägerin ein Anspruch auf Vergütung nach VergGr. Vb BAT/OKK nicht zusteht.
Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (Ortskrankenkassen) (BAT/OKK) Anwendung. Damit hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob die Hälfte der Gesamtarbeitszeit der Klägerin ausfüllende Arbeitsvorgänge einem Tätigkeitsmerkmal der von ihr für sich beanspruchten Vergütungsgruppe Vb BAT/OKK entsprechen (§ 22 Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 1 und Unterabs. 2 Satz 1 BAT/OKK). Dabei ist von dem von der Senatsrechtsprechung entwickelten Begriff des Arbeitsvorganges auszugehen, wonach darunter eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten zu verstehen ist (vgl. BAGE 51, 59, 65; 282, 287; 356, 360 = AP Nrn. 115, 116 und 120 zu §§ 22, 23 BAT 1975).
Das Landesarbeitsgericht nimmt an, daß die Tätigkeit der Klägerin, soweit sie Erstattungsansprüche gegen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung betrifft, als ein Arbeitsvorgang im Tarifsinne anzusehen ist. Dies ist nicht zu beanstanden. Arbeitsergebnis dieser Tätigkeit ist die Geltendmachung von Ansprüchen der Beklagten gegenüber den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung. Diese Tätigkeit ist tatsächlich von den übrigen Tätigkeiten der Klägerin und von denen anderer Mitarbeiter der Beklagten abtrennbar und tariflich selbständig bewertbar. Nach der Verwaltungsübung der Beklagten wird die Tätigkeit für ihren Bereich allein von der Klägerin wahrgenommen. Dieser Arbeitsvorgang nimmt unstreitig mehr als die Hälfte der Gesamtarbeitszeit der Klägerin in Anspruch, so daß er für die tarifliche Bewertung maßgebend ist.
Die Klägerin stützt ihre Klage auf das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. Vb Fallgruppe 25c BAT/OKK. Dieses hat folgenden Wortlaut:
25c Sachbearbeiter für Ersatz- und Erstattungsansprüche
(Bearbeiten von Ersatz- und/oder Erstattungsansprüchen gegen Dritte oder Sozialversicherungsträger oder sonstige Verpflichtete, mit Entscheidungsbefugnis nach näherer Anweisung)
Vergütungsgruppe Vb
Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht bei der Interpretation des tariflichen Rechtsbegriffs “Bearbeiten von Erstattungsansprüchen gegen Sozialversicherungsträger” von der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 17. März 1971 – 4 AZR 169/70 – und vom 3. Mai 1972 – 4 AZR 313/71 – AP Nrn. 1 u. 4 zu §§ 22, 23 BAT Krankenkassen) aus. Der Senat hatte bei der Interpretation des Rechtsbegriffs “Bearbeitung von Ersatzansprüchen” im Sinne der früheren VergGr. Vc Ziffer 45b BAT/OKK (heute VergGr. Vb Ziffer 18 f) darauf abgestellt, daß “der betreffende … Angestellte alle Arbeiten ausführt, die mit der rechtlichen Prüfung, Geltendmachung und Durchsetzung der Ansprüche verbunden sind” und insoweit derartige Arbeiten von Vorbereitungs- und Hilfsarbeiten abgegrenzt. Das Landesarbeitsgericht geht damit vom zutreffenden Rechtsbegriff aus, wenn zur Erfüllung der tariflichen Anforderung des Bearbeiten von Erstattungsansprüchen, die Ersatzansprüchen tariflich gleichgestellt sind, auch die Durchsetzung der Ansprüche fordert.
Aus dem Begriff “Bearbeiten” läßt sich dies allerdings allein nicht herleiten. Dieser wird von den Tarifvertragsparteien nämlich in zahlreichen Tätigkeitsmerkmalen verwendet, in denen eine “Durchsetzung” von Ansprüchen überhaupt nicht in Betracht kommt. So hat der Senat den Begriff “Bearbeiten von Anträgen auf Zahnersatz” dahin interpretiert, daß dazu die Ausführung aller Arbeiten gehört, “die zur Entscheidung der Krankenkasse über die Übernahme der Kosten für eine Zahnersatzmaßnahme bei einem Versicherten notwendig sind” (BAG Urteil vom 21. Februar 1990 – 4 AZR 603/89 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Bei dem Bearbeiten von Erstattungsansprüchen gegen Sozialversicherungsträger handelt es sich jedoch nicht um Ansprüche, die gegen die Krankenkasse gerichtet sind, sondern um solche, die der Krankenkasse gegenüber den Sozialversicherungsträgern zustehen. Insoweit kommt im Falle der Ablehnung eines geltend gemachten Anspruchs als weiterer Arbeitsschritt die “Durchsetzung des Anspruchs” in Betracht. Diese hat der Senat als notwendigen Bestandteil des “Bearbeiten von Erstattungsansprüchen gegen Sozialversicherungsträger” angesehen.
An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Zwar hat der Senat in den früheren Urteilen keine Ausführungen gemacht, welche Tätigkeiten die “Durchsetzung” im einzelnen umfaßt, sondern nur auf eine “Durchsetzung nach Maßgabe der §§ 1511-1512 RVO” verwiesen. Diese gesetzlichen Vorschriften sind aufgehoben und durch §§ 102 ff. SGB X ersetzt worden. Zur Durchsetzung der Erstattungsansprüche gehören damit alle Tätigkeiten, die der weiteren Verfolgung des Anspruchs dienen, nachdem dessen Erfüllung von einem Sozialversicherungsträger abgelehnt worden ist. Dazu rechnen die rechtliche Überprüfung der Einwendungen, Maßnahmen, die der weiteren Aufklärung der tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs dienen, und gegebenenfalls die Entscheidung, den Anspruch gerichtlich geltend zu machen sowie die Vorbereitung der gerichtlichen Geltendmachung.
Daß die Tarifvertragsparteien beim “Bearbeiten von Erstattungsansprüchen” auch die Durchsetzung der Ansprüche fordern, folgt aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang. Die Tarifvertragsparteien haben in Kenntnis der früheren Senatsrechtsprechung in der Protokollnotiz Nr. 13 zur VergGr. Vb Ziffer 18 f (früher: VergGr. Vc Ziffer 45b) bestimmt: “Zum Bearbeiten der Ersatzansprüche nach Ziffer 18 f gehört auch das Durchsetzen der Ansprüche, es sei denn, daß die Angelegenheit aufgrund der in einer Arbeitsanweisung festgelegten Kriterien abzugeben ist”.
Daraus muß geschlossen werden, daß die Interpretation des tariflichen Rechtsbegriffs “Bearbeiten von Ersatzansprüchen” durch den Senat ihrer Auffassung entsprach (vgl. BAGE 38, 332, 336 = AP Nr. 39 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Allerdings haben die Tarifvertragsparteien in der Protokollnotiz zur VergGr. Vb Ziffer 18 f die Einschränkung gemacht, daß eine Durchsetzung nicht erforderlich ist, wenn die Angelegenheit aufgrund der in einer Arbeitsanweisung festgelegten Kriterien abzugeben ist. Auf diese Protokollnotiz wird aber nur in VergGr. Vb Ziffer 18 f, nicht aber in VergGr. Vb Ziffer 25c verwiesen. Daraus ist zu schließen, daß die Einschränkung hinsichtlich des Erfordernisses der Durchsetzung von Ansprüchen als notwendiger Bestandteil der Bearbeitung nur für die VergGr. Vb Ziffer 18 f, nicht aber für die VergGr. Vb Ziffer 25c gelten soll (vgl. BAG Urteil vom 3. Mai 1972 – 4 AZR 313/71 – AP Nr. 4 zu §§ 22, 23 BAT Krankenkassen). Bearbeiten von Erstattungsansprüchen gegen Sozialversicherungsträger im Sinne der VergGr. Vb Ziffer 25c umfaßt somit ohne Einschränkung die rechtliche Prüfung, die Geltendmachung und die Durchsetzung der Erstattungsansprüche.
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist die Klägerin zwar mit der rechtlichen Prüfung und Geltendmachung von Erstattungsansprüchen gegenüber den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung befaßt, nicht aber mit der Durchsetzung der Ansprüche. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme hat das Landesarbeitsgericht nämlich festgestellt, daß in allen Fällen, in denen der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung nach der Geltendmachung des Anspruchs durch die Klägerin keine Zahlung leistet, die weitere Bearbeitung der Angelegenheit von dem Sachgebietsleiter übernommen wird. Daraus hat das Landesarbeitsgericht zu Recht gefolgert, daß der Klägerin die Durchsetzung von Erstattungsansprüchen nicht obliegt, so daß die tarifliche Anforderung “Bearbeiten von Erstattungsansprüchen” im Sinne der VergGr. Vb Ziffer 25c nicht in vollem Umfange erfüllt ist.
Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Dr. Etzel, Schneider, Dr. Freitag, H. Pallas, Fieberg
Fundstellen