Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung
Normenkette
ZPO § 554 Abs. 3 Nr. 3, § 554 a Abs. 1; ArbGG § 72 Abs. 5
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe einer Abfindung des Klägers für “Einkommensverluste durch tarifliche Veränderungen”.
Der am 12. Februar 1952 geborene Kläger, der bis zum 1. März 1999 Mitglied der Gewerkschaft ÖTV war, ist seit Juni 1977 bei der Beklagten beschäftigt. Diese nimmt als Gesellschaft des privaten Rechts die gesetzlichen Aufgaben der Freien und Hansestadt Hamburg wahr, Dienstleistungen im öffentlichen Personennahverkehr anzubieten. Die Beklagte hat mit den Gewerkschaften ÖTV und DAG Haustarifverträge – Vergütungstarifvertrag, Tarifvertrag über das Vergütungssystem und Manteltarifvertrag (MTV) – abgeschlossen. Nach der vom Kläger unterschriebenen Einstellungsbestätigung vom 13. Juni 1977 sind “für das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen der jeweils gültigen Tarifverträge maßgebend”.
Bis 1990 war der Kläger als Bus-Einmannwagenfahrer tätig und zuletzt nach VergGr. 9 Stufe 6 vergütet; außerdem erhielt er eine Einmannwagenfahrerzulage von 252,01 DM sowie eine Rüstzeitpauschale. Als er die Tätigkeit als Busfahrer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben konnte, wurde er ab 1. Dezember 1993 als Prüfschaffner im U-Bahn-Betrieb beschäftigt. Er erhielt nunmehr Vergütung nach VergGr. 8 Stufe 6, eine Ausgleichszulage nach § 9 Abs. 4b MTV wegen der Rückstufung von VergGr. 9 in VergGr. 8 und eine weitere Ausgleichszulage nach § 9 Abs. 4c MTV iHv. 53 % der entfallenen Einmannwagenfahrerzulage, zuletzt 137,60 DM im Monat.
Am 1. Januar 1999 traten bei der Beklagten als Bestandteile eines “Bündnisses für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungssicherung” neue Haustarifverträge – MTV 1999, Tarifvertrag über das Vergütungssystem und Vergütungstarifvertrag – in Kraft. Danach entfällt die Einmannwagenfahrerzulage der Busfahrer ebenso wie die Zugfahrerselbstabfertigungszulage. Die höchste Vergütungsgruppe für Busfahrer ist nicht mehr VergGr. 9, sondern VergGr. 8. Des weiteren beinhaltet der neue Haustarif verschlechternde Regelungen hinsichtlich Zuschlägen, Zulagen und Sonderzahlungen.
Für die entstandenen Einkommensverluste auf Grund der tariflichen Veränderungen sind im Anhang 2 des MTV 1999 Abfindungszahlungen vereinbart. Es gibt drei Abfindungsgruppen: die Gruppe der (aktiven) Busfahrer, die der Zugfahrer (und weiterer vorwiegend im U-Bahn-Bereich Beschäftigter) und Handwerker sowie diejenige der “übrigen Mitarbeiter”. Im Anhang 2 des MTV 1999 stellt sich dies wie folgt dar:
Busfahrer: |
DM 8.500, – |
Zugfahrer: |
DM 3.500, – |
Haltestellenwärter, Haltestellenüberwacher / Mobiler Dienst und Weichensteller: |
DM 3.500, – |
Handwerker: |
DM 3.500, – |
Alle übrigen Mitarbeiter: |
DM 2.000, – |
Weiter ist bestimmt:
3. Fahr- und sicherheitsdienstuntaugliche Mitarbeiter:
Abfindung DM 2.000, – bzw. ggf. höhere Zahlungen entsprechend ihrer derzeitigen FSDU-Tätigkeit (z.B. Handwerker)
…
8. Prüfschaffner: Abfindung DM 2.000, –
Im Anhang 3 zum MTV 1999 sind Protokollnotizen zum MTV vereinbart. Dort ist “Zu § 9 Abs. 4: (Ausgleichszulage)” bestimmt:
Für Mitarbeiter, die am 31.12.1998 bereits eine Ausgleichszulage erhalten, finden die bisherigen Regelungen des § 9 Abs. 4 MTV vom 21.3.1996 Anwendung.
Dies gilt mit der Maßgabe, daß die Ausgleichszahlungen für fahr- und sicherheitsdienstuntaugliche Mitarbeiter an die geänderten Eingruppierungen der vor Eintritt ihrer Dienstuntauglichkeit ausgeübten Tätigkeit und unter Berücksichtigung des Wegfalls der Einmannwagenfahrerzulage mit Wirkung ab 01.01.1999 angepaßt werden.
Eine entsprechende Anpassung erfolgt auch bei der Ausgleichszulage für die Akkord- bzw. Zeitlohnzulage.
Die Gesamtzahl der abfindungsberechtigten Arbeitnehmer beläuft sich auf 4.340. Die erste Abfindungsgruppe (Busfahrer) umfaßt 1.670, die zweite (Zugfahrer, Haltestellenwärter usw. und Handwerker) 1.180 und die dritte (übrige Mitarbeiter) 1.490 Arbeitnehmer. Von den 147 ehemaligen Busfahrern mit Ausgleichszulage für die frühere Einmannwagenfahrerzulage verrichten vier Tätigkeiten der zweiten Abfindungsgruppe. Die übrigen 143 gehören der dritten Abfindungsgruppe – beispielsweise also Prüfschaffner – an.
Die Beklagte ordnete den Kläger als Prüfschaffner der dritten Abfindungsgruppe der “übrigen Mitarbeiter” zu und zahlte ihm dementsprechend eine Abfindung iHv. 2.000,00 DM. Unter Bezugnahme auf § 9 Abs. 4 MTV stellte sie die Gewährung der beiden Ausgleichszahlungen ab 1. Januar 1999 ein.
Mit seiner Klage erstrebte der Kläger im ersten Rechtszug die Zahlung eines weiteren Abfindungsbetrages iHv. 6.500,00 DM. Diese Forderung hat er damit begründet, er sei wie ein Busfahrer zu behandeln. Denn durch Zahlung der Ausgleichszulage bis zum 31. Dezember 1998 sei er praktisch den Busfahrern gleichgestellt worden. Daher stehe ihm an sich auch eine Abfindung von 8.500,00 DM zu. Im Vergleich zu den Busfahrern liege eine Ungleichbehandlung vor. Nach Abweisung seiner Klage durch das Arbeitsgericht forderte er in der Berufung als weitere Abfindungszahlung noch 4.000,00 DM. Zur Begründung dieses Anspruchs hat er ausgeführt, zumindest hätten die Tarifvertragsparteien bei den ehemaligen Busfahrern den Wegfall der Ausgleichszulage für die Funktionszulage berücksichtigen müssen. Dabei hätte eine sachgerechte Abfindung etwa in der Mitte zwischen 2.000,00 und 8.500,00 DM liegen müssen, also etwa bei 6.000,00 DM. Die durch den Verstoß gegen den Gleichheitssatz Art. 3 Abs. 1 GG entstandene Lücke müsse entsprechend ausgefüllt werden.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 31. Mai 1999 – 21 Ca 140/99 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine weitere Abfindung iHv. 4.000,00 DM zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 1. Januar 1999 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Zuordnung des Klägers zur Gruppe der “übrigen Mitarbeiter” mit einer Abfindung von 2.000,00 DM sei nicht zu beanstanden. Die Tarifvertragsparteien hätten die typischen Einkommensverluste der aktiven Mitarbeiter pauschalierend abmildern wollen. Sie hätten für die fahrdienstuntauglichen Busfahrer ausdrücklich niedrigere Abfindungszahlungen vorgesehen. Dies sei auch nach dem Gleichheitsgebot des Art. 3 GG nicht zu beanstanden. Die fahrdienstuntauglichen ehemaligen Busfahrer und nunmehrigen Prüfschaffner seien nicht mit den aktiven Busfahrern vergleichbar. Es sei weder gewollt noch möglich gewesen, die Abfindungen exakt oder auch nur annähernd den Einkommensverlusten im Einzelfall anzupassen. Im übrigen sei es nicht Sache der Gerichte zu überprüfen, ob die Tarifvertragsparteien die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hätten.
Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts unter Zurückweisung der Berufung des Klägers im übrigen teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 800,00 DM zuzüglich Zinsen zu zahlen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision der Beklagten ist gem. § 554a Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Die Revisionsbegründung entspricht nicht den Anforderungen des § 72 Abs. 5 ArbGG in Verb. mit § 554 Abs. 3 Nr. 3 ZPO. Denn sie greift das Berufungsurteil nur im Ergebnis an, wird aber den Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an den Inhalt der gesetzlich gebotenen Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils zu stellen sind, nicht hinreichend gerecht.
1. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision gehört die Angabe der Revisionsgründe unter Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm. Dies erfordert grundsätzlich, daß sich die Revisionsbegründung mit den tragenden Gründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzt (BAG 29. Oktober 1997 – 5 AZR 624/96 – BAGE 87, 41 mwN). Zwar ist zur Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm im Sinne des § 554 Abs. 3 Nr. 3a ZPO die Angabe bestimmter Paragraphen nicht erforderlich; sogar eine falsche Bezeichnung kann unschädlich sein. Die Revisionsbegründung muß jedoch den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts aufzeigen. Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs müssen erkennbar sein. Die Revisionsbegründung muß zu den gem. § 554 Abs. 3 Nr. 3 ZPO gerügten Punkten eine Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert eine konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (BAG aaO mwN; BAG 1. Dezember 1999 – 7 ABR 53/98 – nv.). Dadurch soll ua. sichergestellt werden, daß der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsklägers das angefochtene Urteil genau durchdenkt. Außerdem soll die Revisionsbegründung durch ihre Kritik des angefochtenen Urteils zur richtigen Rechtsfindung durch das Revisionsgericht beitragen (BAG 4. September 1975 – 3 AZR 230/75 – AP ZPO § 554 Nr. 15 = EzA ZPO § 554 Nr. 1; 13. April 2000 – 2 AZR 173/99 – nv.; 7. Juli 1999 – 10 AZR 575/98 – AP ZPO § 554 Nr. 32 = EzA ZPO § 554 Nr. 8).
2. Den vorstehend dargelegten Anforderungen wird die Revisionsbegründung der Beklagten nicht gerecht.
a) Sie beschränkt sich im Anschluß an darstellende Ausführungen – die Tarifvertragsparteien hätten für 4.300 betroffene Arbeitnehmer drei Gruppen gebildet, in denen die Einkommensverluste jeweils höher seien als die Ausgleichszahlungen für die früher während der Busfahrertätigkeit bezogenen Einmannwagenfahrerzulage – auf die Rüge, für die Einhaltung des weiten Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien könne “allein die Relation der festzustellenden Einkommensminderungen, nicht aber das Verhältnis zwischen der Kopfzahl der ehemaligen (fahrdienstuntauglichen) Busfahrer zu anderen Mitarbeitern – sei es zu der Gesamtzahl aller abfindungsberechtigten Mitarbeiter, sei es der Zahl der sogenannten ‘übrigen Mitarbeiter’ – entscheidend sein”. Daraus folgert sie, “die angefochtene Entscheidung” beruhe “nach allem auf einer Verkennung der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie, des dadurch den Tarifvertragsparteien eingeräumten weiten Gestaltungsfreiraumes und den Grenzen einer gerichtlichen Kontrolle”.
b) Mit diesen sehr knappen und allgemein gehaltenen Ausführungen stellt die Beklagte der Auffassung der Landesarbeitsgerichts lediglich ihre eigene Auffassung gegenüber, ohne auf dessen tragende Entscheidungsbegründung einzugehen und konkret darzulegen, weshalb diese rechtsfehlerhaft sein soll. Das Landesarbeitsgericht hat im angefochtenen Urteil mehrfach hervorgehoben, daß den Tarifvertragsparteien ein weiter Gestaltungsfreiraum eingeräumt sei und die Gerichte nicht zu prüfen hätten, ob die Tarifvertragsparteien die sachgerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hätten; die Gerichte hätten allein zu kontrollieren, ob die Grenzen der Tarifautonomie überschritten seien (S 10, 12 und 15 des Berufungsurteils). Das Landesarbeitsgericht stützt seine Entscheidung damit auf Rechtssätze, die auch die Beklagte für richtig hält. Anders als die Beklagte gelangt es allerdings bei Anwendung dieser Rechtssätze auf den Streitfall zu dem Ergebnis, daß die Nichtberücksichtigung der Besitzstandszulage bei der Abfindung der ausgleichsberechtigten Busfahrer durch die Tarifvertragsparteien eine Überschreitung des ihnen eingeräumten Gestaltungsfreiraums sei und den allgemeinen Gleichheitssatz verletze, was das Landesarbeitsgericht ausführlich auf S 14 bis 16 des Berufungsurteils begründet. Eine Auseinandersetzung mit diesen fallbezogenen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, die seine Entscheidung tragen, läßt die Revisionsbegründung völlig vermissen.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schliemann, Wolter, Bott, Gotsche, Kralle-Engeln
Fundstellen