Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerkschaftliche Mitgliederwerbung. Mitgliederwerbung von Gewerkschaften. Unanwendbarkeit des UWG
Leitsatz (amtlich)
Die gewerkschaftliche Mitgliederwerbung ist durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützt. Die Grenzen zulässiger Werbung werden überschritten, wenn sie mit unlauteren Mitteln erfolgt oder auf die Existenzvernichtung einer konkurrierenden Gewerkschaft gerichtet ist.
Orientierungssatz
- Die Regelungen des UWG finden auf die gewerkschaftliche Mitgliederwerbung weder in der früheren noch in der seit dem 8. Juli 2004 geltenden Fassung Anwendung.
- Gegen rechtswidrige Eingriffe in ihre durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit kann sich eine Gewerkschaft in entsprechender Anwendung des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB mit Hilfe von Unterlassungsklagen wehren.
- Eine Gewerkschaft muss die Mitgliederwerbung einer konkurrierenden Gewerkschaft hinnehmen, solange diese nicht mit unlauteren Mitteln erfolgt oder auf die Existenzvernichtung der Koalition gerichtet ist.
- Die Grenzen zulässiger Mitgliederwerbung werden nicht dadurch überschritten, dass eine Gewerkschaft mit befristeten Sonderkonditionen um Neumitglieder wirbt.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3 Sätze 1-2; UWG §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, §§ 3, 8 Abs. 1 S. 1; BGB § 1004 Abs. 1 S. 2, § 823 Abs. 2; ArbGG § 10 S. 1, § 48 Abs. 1, §§ 65, 73 Abs. 2; GVG § 17a Abs. 1, 3
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte mit einem Mitgliedsbeitrag von einem Euro um neue Mitglieder werben darf.
Die Klägerin ist eine für den gesamten Bereich der Polizei zuständige Gewerkschaft. Sie ist Mitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Der Beklagte ist ebenfalls eine Gewerkschaft und organisiert als eingetragener Verein Mitarbeiter der Bundespolizeien. Er ist Mitglied in der Deutschen Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund (DBB).
Der Beklagte warb mit einer zunächst auf die Zeit vom 1. bis zum 22. September 2002 befristeten Aktion im Internet sowie mit Aushängen und Flugschriften in den Dienststellen der Bundespolizeien um neue Mitglieder. Dabei bot er für das erste Jahr der Mitgliedschaft einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von einem Euro an. Danach sollten die für die Altmitglieder geltenden Mitgliedsbeiträge maßgeblich sein. Nach der Satzung des Beklagten unterliegt die Festlegung der Mitgliedsbeiträge der Beschlussfassung des Bundesdelegiertentags. In dem Internetauftritt vom September 2002 hieß es:
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Der Beklagte verlängerte die Ein-Euro-Werbemaßnahme in einem weiteren Internetauftritt bis zum 31. Oktober 2002 ohne einen Hinweis auf die angeblichen Wahlkampfinvestitionen des DGB. Der Beklagte wandte sich mit der Werbemaßnahme auch an Mitglieder der Klägerin. Er beabsichtigt, derartige Werbeaktionen auch künftig durchzuführen.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin den Beklagten auf Unterlassung solcher Werbemaßnahmen in Anspruch genommen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe mit den Werbeaktionen im September und Oktober 2002 ihre Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzt und gegen das UWG verstoßen. Bei der Werbung mit einem monatlichen Mitgliedsbeitrag von einem Euro handele es sich um unfairen Wettbewerb. Ein solcher “Dumping-Preis” könne die Kosten der gewerkschaftlichen Organisation und der gewerkschaftlichen Leistungen nicht decken. Derartige Angebote gefährdeten spätestens dann den beiderseitigen gewerkschaftlichen Bestand, wenn auch sie mit entsprechenden “Dumping-Preisen” reagiere. Im Übrigen verstoße das Ein-Euro-Angebot gegen die Satzung des Beklagten; es sei nicht von dessen Delegiertenversammlung beschlossen worden.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 EUR ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, diese zu vollstrecken für den Beklagten an dessen Vorsitzenden, es künftig zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß
1. mit einem Mitgliedsbeitrag von einem Euro pro Monat für Neumitglieder für den Eintritt in seine Organisation zu werben, und/oder
2. sich gezielt an ihre Mitglieder zu wenden mit dem Angebot, im Falle des Austritts für einen Euro pro Monat bei dem Beklagten Mitglied zu werden, und/oder
3. überhaupt für Neumitglieder einen geringeren Mitgliedsbeitrag anzubieten als für Altmitglieder.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er habe durch seine Aktion nicht die Koalitionsfreiheit der Klägerin verletzt, sondern von seiner eigenen Betätigungsfreiheit Gebrauch gemacht.
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen durch Beschluss für zulässig erklärt und die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche nicht zu.
I. Der Klageantrag zu 1) ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Er ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Aus ihm wird ausreichend deutlich, welche Handlungen der Beklagte unterlassen soll. Ihm sollen jegliche Maßnahmen untersagt werden, durch die mit einem Mitgliedsbeitrag von einem Euro pro Monat um Neumitglieder geworben wird. Dem Zusatz “wie mit den Anlagen 1) und 2) zur Klageschrift geschehen”, um den die Klägerin den Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht “ergänzt” hatte, kam – wie ihr Vertreter in der Revisionsverhandlung bestätigt hat – keine inhaltliche Bedeutung zu. Er sollte lediglich der Erläuterung dienen.
b) Nach § 73 Abs. 2 ArbGG iVm. § 65 ArbGG hatte der Senat nicht zu prüfen, ob der beschrittene Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen zulässig ist. Im Übrigen hat ihn das Arbeitsgericht durch Vorabentscheidung gemäß § 48 Abs. 1 ArbGG iVm. § 17a Abs. 1, Abs. 3 GVG rechtskräftig für zulässig erklärt.
2. Der Klageantrag zu 1) ist unbegründet. Ein Anspruch der Klägerin darauf, dass der Beklagte die Werbung von Neumitgliedern mit dem auf ein Jahr beschränkten Angebot eines Mitgliedsbeitrags von einem Euro monatlich unterlässt, folgt weder aus den Bestimmungen des UWG noch aus der entsprechenden Anwendung des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB iVm. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG.
a) Der Anspruch kann nicht auf das UWG gestützt werden. Dabei kann im Ergebnis dahinstehen, ob für den die Zukunft betreffenden Rechtsfolgenausspruch bereits das am 8. Juli 2004 ohne Übergangsbestimmungen in Kraft getretene UWG nF (BGBl. I S. 1414) oder etwa – im Hinblick auf die früher liegende Verletzungshandlung – noch das UWG aF maßgeblich ist. Die Bestimmungen des UWG sind weder in der alten noch in der neuen Fassung auf die Mitgliederwerbung von konkurrierenden Gewerkschaften anwendbar.
aa) Nach § 1 UWG aF kann derjenige, der im geschäftlichen Verkehr zu den Zwecken des Wettbewerbs Handlungen vornimmt, die gegen die guten Sitten verstoßen, auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum ist die bloße Mitgliederwerbung von Gewerkschaften kein “geschäftlicher Verkehr” im Sinne dieser Vorschrift (vgl. BGH 6. Oktober 1964 – VI ZR 176/63 – BGHZ 42, 210 = AP BGB § 54 Nr. 6, zu C II 1a der Gründe; BAG 11. November 1968 – 1 AZR 16/68 – BAGE 21, 201, zu 3 der Gründe; vgl. auch BGH 15. November 1967 – I b ZR 137/65 – GRUR 1968, 205 – “Teppichreinigung” –, zu II 2a der Gründe; 14. Januar 1972 – I ZR 95/70 – GRUR 1972, 427 – “Mitgliederwerbung” –, zu II der Gründe; 20. Oktober 1983 – I ZR 130/81 – DB 1984, 823 – “Erbenberatung” –, zu II 1 der Gründe; Köhler/Piper UWG 3. Aufl. Einführung Rn. 199 mwN). Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht überholt. Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung vom 20. Februar 1997 (– I ZR 12/95 – NJW-RR 1997, 1401 – “Emil-Grünbär-Klub” –, zu II 1 der Gründe mwN) erneut bestätigt, dass bei gemeinnützigen Einrichtungen die Werbung von Mitgliedern nicht im geschäftlichen Verkehr und zu Zwecken des Wettbewerbs erfolgt. Unerheblich ist, ob die Rechtsschutzgewährung, die eine Gewerkschaft ihren Mitgliedern über einen Vertrag mit einer Rechtsschutzversicherungs AG bietet, insoweit einen der Steuerpflicht unterliegenden wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb darstellt (vgl. dazu FG München 2. Juni 2000 – 7 K 4322/98 – EFG 2000, 1146). Selbst wenn dies steuerrechtlich der Fall sein sollte, ist die reine Mitgliederwerbung kein geschäftlicher Verkehr iSd. § 1 UWG aF. Sie ist nicht auf gewerbliche Konkurrenz angelegt, sondern dient der Verwirklichung der sozialen und gesellschaftlichen Aufgaben der Gewerkschaften (vgl. BAG 11. November 1968 – 1 AZR 16/68 – BAGE 21, 201, zu 3 der Gründe).
bb) Hieran hat sich durch die Neufassung des UWG nichts geändert.
(1) Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG nF kann derjenige, der § 3 UWG nF zuwiderhandelt, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Gemäß § 3 UWG nF sind unlautere Wettbewerbshandlungen, die geeignet sind, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen, unzulässig. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG nF ist “Wettbewerbshandlung” jede Handlung einer Person mit dem Ziel, zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens den Absatz oder den Bezug von Waren oder die Erbringung oder den Bezug von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern. Der Begriff der Wettbewerbshandlung hat den in §§ 1, 3 UWG aF verwendeten Begriff des “Handelns im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs” abgelöst.
(2) Die reine Mitgliederwerbung einer Gewerkschaft ist keine Wettbewerbshandlung im Sinne des UWG nF.
(a) Es erscheint bereits fraglich, ob eine Gewerkschaft ein “Unternehmen” iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG nF ist. Der Begriff des Unternehmens setzt eine auf Dauer angelegte, selbständige wirtschaftliche Betätigung voraus, die darauf gerichtet ist, Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt zu vertreiben (vgl. Baumbach/Hefermehl/Köhler Wettbewerbsrecht 23. Aufl. § 2 UWG Rn. 8 mwN). Dabei kann das Entgelt auch in der Zahlung von Mitgliedsbeiträgen bestehen (vgl. BGH 23. Januar 1976 – I ZR 95/75 GRUR 1976, 370 – “Lohnsteuerhilfevereine” –). Dementsprechend können auch Idealvereine wettbewerbsrechtlich als Unternehmen anzusehen sein, soweit sie gegenüber ihren Mitgliedern für sich gesehen entgeltliche, aber durch den Mitgliedsbeitrag abgedeckte Leistungen erbringen, die auch auf dem Markt gegen Entgelt angeboten werden (vgl. Baumbach/Hefermehl/Köhler Wettbewerbsrecht aaO). Dazu können auch Beratungsleistungen oder die Gewährung von Rechtsschutz gehören.
(b) Die Unternehmenseigenschaft einer Gewerkschaft bedarf aber im Streitfall schon deshalb keiner Klärung, weil deren reine Mitgliederwerbung keine Wettbewerbshandlung iSd. UWG ist. Sie bezweckt nicht den Absatz oder den Bezug von Waren oder Dienstleistungen (vgl. Baumbach/Hefermehl/Köhler Wettbewerbsrecht aaO Rn. 19 mwN). Der Umstand, dass eine Vereinsmitgliedschaft mit Ansprüchen auf bestimmte Leistungen des Vereins verbunden ist, hat allein noch nicht zur Folge, dass die Mitgliederwerbung eine auf den Absatz dieser Leistung gerichtete (Wettbewerbs-)Handlung wäre. Dies gilt zumindest in den Fällen, in denen die Erbringung der Leistung nicht den Hauptzweck oder gar den alleinigen Zweck der Vereinstätigkeit darstellt. Auch kommt es nicht darauf an, ob andere Vereine mit gleicher oder ähnlicher Zielsetzung vorhanden sind, die ebenfalls Mitgliederwerbung betreiben (vgl. BGH 14. Januar 1972 – I ZR 95/70 – GRUR 1972, 427 – “Mitgliederwerbung” –). Die Mitgliederwerbung einer Gewerkschaft zielt nicht in erster Linie oder gar ausschließlich auf den Absatz der Dienstleistung “Rechtsschutz”. Dessen Gewährung ist zwar regelmäßig vom Satzungszweck gedeckt. Er ist aber weder Haupt- noch gar alleiniger Zweck einer Gewerkschaft. Deren Hauptaufgabe ist es, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder, insbesondere durch den Abschluss von Tarifverträgen, zu wahren und zu fördern.
b) Der Anspruch der Klägerin folgt nicht aus der entsprechenden Anwendung des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB iVm. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG.
aa) Allerdings kann sich eine Gewerkschaft gegen rechtswidrige Eingriffe in ihre durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit in entsprechender Anwendung des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB mit Hilfe von Unterlassungsklagen wehren. Die Mitgliederwerbung einer konkurrierenden Gewerkschaft muss sie aber hinnehmen, solange diese nicht mit unlauteren Mitteln erfolgt oder auf die Existenzvernichtung der Koalition gerichtet ist.
(1) Geschützt wird durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG sowohl die Freiheit des Einzelnen, Koalitionen zu bilden, als auch der Bestand, die organisatorische Ausgestaltung und die spezifische Betätigung der Koalitionen (vgl. etwa BVerfG 26. Juni 1991 – 1 BvR 779/85 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 117 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 97; ErfK/Dieterich 5. Aufl. Art. 9 GG Rn. 38 mwN). Der Schutz der Koalitionsfreiheit richtet sich gemäß Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG auch gegen privatrechtliche Beschränkungen. Auf Grund dieser Vorschrift entfaltet Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG unmittelbare Wirkung in Verhältnissen privater Rechtssubjekte (vgl. BAG 20. April 1999 – 1 ABR 72/98 – BAGE 91, 210, zu B II 2a der Gründe; 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – BAGE 104, 155, zu B I 3b bb der Gründe; ErfK/Dieterich aaO Rn. 42; Bauer in: H. Dreier GG 2. Aufl. Art. 9 Rn. 82). Die Koalition, in deren Betätigungsfreiheit durch ein anderes Privatrechtssubjekt in unzulässiger Weise eingegriffen wird, kann von diesem in entsprechender Anwendung des § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 2 BGB iVm. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG die Unterlassung der Beeinträchtigung verlangen (BAG 20. April 1999 – 1 AZR 72/98 – aaO; vgl. auch schon 14. Februar 1967 – 1 AZR 494/65 – BAGE 19, 217, zu 2 und 3 der Gründe). Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG gilt auch im Verhältnis von rivalisierenden Gewerkschaften untereinander (vgl. Rüthers Anm. zu AP GG Art. 9 Nr. 14).
(2) Durch die Mitgliederwerbung von Gewerkschaften ist das kollektive Daseinsund Betätigungsrecht anderer, konkurrierender Gewerkschaften betroffen. Sie zielt regelmäßig auch darauf, die bereits in einer anderen Gewerkschaft befindlichen Arbeitnehmer für die eigene Koalition zu gewinnen. Damit gefährdet sie den Mitgliederbestand der anderen Organisation. Allein daraus folgt jedoch nicht die Unzulässigkeit jeglicher (Ab-)Werbung. Die gewerkschaftliche Mitgliederwerbung ist vielmehr ebenfalls durch die in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistete Betätigungsfreiheit geschützt (vgl. etwa BVerfG 14. November 1995 – 1 BvR 601/92 – BVerfGE 93, 352 = AP GG Art. 9 Nr. 80 = EzA GG Art. 9 Nr. 60, zu B I 2 der Gründe). Zu dieser gehört gerade auch das Recht einer Koalition, ihre Schlagkraft durch Maßnahmen mit dem Ziel der Mitgliedererhaltung und der Mitgliederwerbung zu stärken (vgl. BAG 11. November 1968 – 1 AZR 16/68 – BAGE 21, 201, zu 4 der Gründe). Damit führt die Mitgliederwerbung zu einer Kollision der Grundrechte der bei der Mitgliederwerbung und Mitgliedererhaltung konkurrierenden Koalitionen. Dem Abwehrrecht der einen Koalition aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG steht das Betätigungsrecht der anderen aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gegenüber (Rüthers Anm. zu AP GG Art. 9 Nr. 14).
(3) Bei einer solchen Kollision geht das Abwehrrecht dem Betätigungsrecht nicht zwingend vor. Vielmehr muss im Wege der Abwägung praktische Konkordanz zwischen den kollidierenden Grundrechtspositionen hergestellt werden (vgl. BAG 25. Januar 2005 – 1 AZR 657/03 – AP GG Art. 9 Nr. 123, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 1a der Gründe mwN). Dabei ist der durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistete Koalitionspluralismus von Bedeutung (vgl. BAG GS 29. November 1967 – GS 1/67 – BAGE 20, 175, zu Teil IV, VI 5c der Gründe; 11. November 1968 – 1 AZR 16/68 – BAGE 21, 201, zu 4 der Gründe). Zu ihm gehört, dass die Gewerkschaften in Konkurrenz treten und wechselseitig um Mitglieder werben können. Daher hat eine Gewerkschaft grundsätzlich die mit der Mitgliederwerbung einer konkurrierenden Gewerkschaft verbundene Gefährdung ihres Mitgliederbestands hinzunehmen. Andernfalls würde ein einmal erreichter Status quo als unveränderlich zementiert und die durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistete Freiheit der Bildung auch neuer Koalitionen gravierend erschwert.
(4) Die Freiheit der Mitgliederwerbung ist allerdings, ebenso wie die Betätigungsfreiheit der Koalitionen überhaupt, nicht schrankenlos (vgl. BAG 25. Januar 2005 – 1 AZR 657/03 – AP GG Art. 9 Nr. 123, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 1a der Gründe mwN). Ihre Grenzen liegen dort, wo sie mit unlauteren Mitteln erfolgt oder auf die Existenzvernichtung der konkurrierenden Koalition gerichtet ist. Unlauter sind insbesondere Werbemaßnahmen, die auf Unwahrheiten beruhen, beleidigend oder hetzerisch sind oder unsachliche, in keinerlei Zusammenhang mit der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen stehende Angriffe gegenüber Konkurrenzorganisationen zum Inhalt haben (vgl. auch Däubler Gewerkschaftsrechte im Betrieb 10. Aufl. Rn. 283 bis 353 mwN). Dementsprechend hat der Senat eine wahrheitswidrige und täuschende Werbemaßnahme einer Gewerkschaft für unzulässig erachtet (11. November 1968 – 1 AZR 16/68 – BAGE 21, 201, zu 4 der Gründe) und der Bundesgerichtshof einer Gewerkschaft eine “unfaire Werbung” untersagt, durch die bei den umworbenen Arbeitnehmern falsche Vorstellungen über die sozialpolitischen Leistungen der konkurrierenden Gewerkschaften erweckt wurden (vgl. 6. Oktober 1964 – VI ZR 176/63 – BGHZ 42, 210 = AP BGB § 54 Nr. 6, zu C II 1c der Gründe). Auch darf es eine Gewerkschaft bei der Mitgliederwerbung nicht auf die Vernichtung einer anderen Koalition anlegen (vgl. BAG 14. Februar 1967 – 1 AZR 494/65 – BAGE 19, 217, zu 2a der Gründe). Bedenklich wäre es daher, wenn eine Gewerkschaft ihre Werbemaßnahmen auf die (Ab-)Werbung der Mitglieder einer konkurrierenden Gewerkschaft beschränken und nur diesen, nicht dagegen den bislang unorganisierten Neumitgliedern Sonderkonditionen einräumen würde. Dann läge die Annahme nahe, Ziel der Aktion sei weniger die Stärkung der eigenen als vielmehr die bloße Schwächung der konkurrierenden Organisation.
bb) Hiernach handelt es sich bei der “Ein-Euro-Werbeaktion” des Beklagten um keine unzulässige Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit der Klägerin. Vielmehr ist eine derartige Werbemaßnahme des Beklagten durch dessen Betätigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gedeckt. Die Grenzen zulässiger Mitgliederwerbung sind nicht überschritten.
Das Angebot von Sonderkonditionen von einem Euro pro Monat für das erste Jahr der Mitgliedschaft ist keine unlautere Werbemaßnahme. Die umworbenen Arbeitnehmer werden durch ein solches Angebot nicht über Leistungen des Beklagten oder sonstige wesentliche Umstände getäuscht.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Werbemaßnahme nicht etwa deshalb unzulässig, weil möglicherweise der für das erste Jahr angebotene Mitgliedsbeitrag nicht kostendeckend ist. Die Festlegung der Höhe der Mitgliedsbeiträge liegt in der freien Eigenverantwortung einer Gewerkschaft. Dieser steht es grundsätzlich frei, zu Zwecken der Werbung neu eintretenden Mitgliedern vorübergehend Sonderkonditionen anzubieten, die unter den auf das einzelne Mitglied entfallenden “Selbstkosten” der Gewerkschaft liegen (vgl. zur wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit des gelegentlichen Verkaufs einer Ware unter Einstandspreis: BGH 31. Januar 1979 – I ZR 21/77 – NJW 1979, 2611, zu I 2 der Gründe; 6. Oktober 1983 – I ZR 39/83 – NJW 1984, 1618, zu II 4a der Gründe). Im Übrigen war das unter dem “Einstandspreis” liegende Angebot von einem vernünftigen Interesse des Beklagten getragen. Dieser versprach sich durch die zeitlich auf ein Jahr begrenzten Sonderkonditionen den Eintritt von Mitgliedern, die länger bei ihm bleiben und nach Ablauf des “Schnupper-”Jahres die regulären Mitgliedsbeiträge zahlen.
Die Werbemaßnahme ist nicht auf die Existenzvernichtung der Klägerin angelegt. Für die Annahme, es sei dem Beklagten “ohne Rücksicht auf (eigene) Verluste” weniger um die eigene koalitionsmäßige Betätigung, als um die Vernichtung der Klägerin gegangen, gibt es keine Anhaltspunkte. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die Existenz der Klägerin durch derartige Werbemaßnahmen objektiv gefährdet wäre. Auch die Klägerin hat nicht geltend gemacht, ihr Mitgliederbestand sei in existenziellem Umfang tangiert. Ihre pauschale Behauptung, der beiderseitige gewerkschaftliche Bestand sei gefährdet, wenn auch sie mit entsprechenden “Dumping-Preisen” reagiere, ist substanzlos. Es ist nicht erkennbar, warum durch derartige zeitweilige Sonderaktionen der Fortbestand der beiden Parteien ernsthaft in Frage gestellt sein sollte.
Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, die Werbemaßnahme sei vom Beklagten nicht satzungsgemäß beschlossen worden. Das macht die Maßnahme ihr gegenüber nicht rechtswidrig. Dafür kommt es allein auf deren Außenwirkung an. Die Satzungsbestimmung des Beklagten, nach der die Mitgliedsbeiträge von der Delegiertenversammlung festzulegen sind, dient nicht dem Schutz einer konkurrierenden Gewerkschaft. Durch einen Verstoß gegen diese Satzungsbestimmung werden allenfalls Rechte der Altmitglieder des Beklagten, nicht dagegen Rechte der Klägerin tangiert.
Die Ein-Euro-Aktion kann dem Beklagten auch nicht mit der Erwägung untersagt werden, sein Hinweis im Internetauftritt vom September 2002 auf die laut Medienberichten vom DGB in den Wahlkampf investierten Gelder sei, wie die Klägerin behauptet, tatsächlich unrichtig gewesen. Ob durch diesen Hinweis die Grenzen zulässiger Mitgliederwerbung überschritten wurden, kann – anders als das Landesarbeitsgericht offensichtlich gemeint hat – im Streitfall schon deshalb dahinstehen, weil die Klägerin mit der Klage nicht die Unterlassung der Wiederholung dieses Hinweises verlangt. Streitgegenstand des Klageantrags zu 1) ist nur die Frage, ob der Beklagte künftig die Werbung mit Ein-Euro-Angeboten unterlassen muss.
c) Dem Antrag kann auch nicht insoweit stattgegeben werden, als es um die Abwerbung von Mitgliedern der Klägerin geht. Eine entsprechende teilweise Stattgabe wäre zwar prozessual deshalb nicht ausgeschlossen, weil ein Verbot der Abwerbung von Mitgliedern der Klägerin einen hinreichend abgrenzbaren Teil aus dem weitergehenden Begehr der Klägerin bilden würde. Der Antrag ist aber selbst in diesem einschränkten Umfang unbegründet. Dem Beklagten ist es jedenfalls im Rahmen einer allgemeinen Werbemaßnahme nicht verboten, auch Arbeitnehmer zu werben, die Mitglieder der Klägerin sind.
d) Ebenso wenig kann dem Antrag in noch eingeschränkterem Umfang insoweit stattgegeben werden, wie es um Werbemaßnahmen geht, mit denen ausschließlich Mitglieder der Klägerin abgeworben werden sollen. Eine solche Werbemaßnahme könnte zwar bedenklich sein. Das Vorbringen der Klägerin rechtfertigt aber nicht die Annahme, dass eine derartige Aktion des Beklagten zu besorgen wäre. Dessen bisherige Werbemaßnahmen richteten sich nicht ausschließlich an Mitglieder der Klägerin, sondern gleichermaßen an unorganisierte Arbeitnehmer.
II. Der Klageantrag zu 2) bedurfte keiner gesonderten Bescheidung. Das mit ihm verfolgte Begehr ist als abgrenzbarer Teil in vollem Umfang im Antrag zu 1) enthalten. Dementsprechend sollte der Klageantrag zu 2) – wie der Vertreter der Klägerin in der Revisionsverhandlung ausdrücklich bestätigte – lediglich vorsorglich für den Fall gestellt sein, dass das Gericht im Rahmen einer Zurückweisung des weitergehenden Antrags zu 1) eine Teilstattgabe im Umfang des weniger weitgehenden, mit dem Antrag zu 2) verfolgten Begehrs für unzulässig halten sollte. Dieser Fall liegt nicht vor. Der Senat hat das mit dem Antrag zu 2) verfolgte Begehr im Rahmen des Antrags zu 1) geprüft und für unbegründet erachtet.
III. Der Klageantrag zu 3) ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag zu 3) geht insofern über den Antrag zu 1) hinaus, als er nicht auf die Werbung mit Ein-Euro-Angeboten beschränkt ist, sondern dem Beklagten verboten werden soll, für Neumitglieder überhaupt einen geringeren Mitgliedsbeitrag anzubieten als für Altmitglieder.
2. Der Antrag ist unbegründet. Die Mitgliederwerbung gehört, wie ausgeführt, zur Betätigungsfreiheit des Beklagten. Dieser kann innerhalb der beschriebenen Grenzen selbst entscheiden, welche Werbung er für sinnvoll erachtet. Die Grenzen der Zulässigkeit werden nicht allein dadurch überschritten, dass er Neumitgliedern – befristet – Sonderkonditionen anbietet.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schmidt, Kreft, Linsenmaier, Rösch, Olaf Kunz
Fundstellen
Haufe-Index 1397809 |
BB 2006, 1456 |
DB 2005, 1858 |
NJW 2005, 3019 |
NWB 2005, 2256 |
EBE/BAG 2005, 1 |
FA 2005, 252 |
FA 2005, 351 |
GRUR 2006, 244 |
NZA 2005, 1182 |
ZTR 2005, 416 |
AP, 0 |
AuA 2005, 493 |
EzA-SD 2005, 15 |
EzA-SD 2005, 4 |
EzA |
MDR 2005, 1357 |
PERSONAL 2005, 73 |
ZMV 2005, 208 |
AUR 2005, 268 |
AUR 2005, 425 |
ArbRB 2005, 195 |
KammerForum 2005, 274 |
SPA 2005, 7 |