1 Leitsatz
Ist in der Gemeinschaftsordnung einer Mehrhausanlage vereinbart, dass die Wohnungseigentümer weitgehend so gestellt werden sollen, als handelte es sich um "real geteilte Grundstücke" bzw. als wären sie "Alleineigentümer", und ist den Wohnungseigentümern eine bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums gestattet, begründet im Zweifel nicht jeder Verstoß gegen eine öffentlich-rechtliche Norm einen Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB; vielmehr muss der Norm ein Drittschutz zukommen. Die Festsetzung in einem Bebauungsplan über die Grundfläche der Wochenendhäuser vermittelt beispielsweise einen Drittschutz.
2 Normenkette
§§ 10 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 1, 47 WEG
3 Das Problem
Eine Wochenendhaussiedlung ist eine Wohnungseigentumsanlage (seit dem Jahr 2003, die Häuser sind aber überwiegend vorher gebaut worden). An jedem Ferienhaus besteht ein Sondernutzungsrecht. In der Gemeinschaftsordnung heißt es unter anderem wie folgt: "a) Jeder Hauseigentümer ist berechtigt, die seinem Sondereigentum und Sondernutzungsrecht unterliegenden Gebäude- und Grundstücksteile unter Ausschluss der anderen Hauseigentümer so zu nutzen, wie wenn er Alleineigentümer wäre, soweit nicht in dieser Urkunde Nutzungsbeschränkungen vereinbart sind. Die baurechtlichen Vorschriften sind zu beachten. ... d) Im Rahmen des nach öffentlichem Recht Zulässigen kann jeder Hauseigentümer sein Wohnungseigentum bzw. Teileigentum und die seinem Sondernutzungsrecht unterliegenden Teile des gemeinschaftlichen Eigentums nach Maßgabe der Gemeinschaftsordnung nutzen, sie auch verändern und die nicht bebauten Grundstücksteile auch bebauen. Jeder Wohnungseigentümer duldet die anderweitige Bebauung eines benachbarten Sondernutzungsrechts, sofern das Wochenendhaus von der gemeinsamen Grenze der Sondernutzungsrechte einen Abstand von mindestens 1,75 m einhält und die Errichtung des Gebäudes bauordnungsrechtlich genehmigt wurde." Die Grundfläche eines Wochenendhauses darf nach einer Festsetzung in einem Bebauungsplan 35 qm nicht überschreiten.
Das Wochenendhaus des B ist allerdings vor Begründung der Wohnungseigentumsanlage und vor der Festsetzung im Bebauungsplan mit einer Grundfläche von 69,81 qm errichtet worden. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (K) verlangt von B dennoch einen teilweisen Rückbau. Das AG weist die Klage ab. Auch die Berufung bleibt erfolglos. Mit der Revision verfolgt K ihr Klageziel weiter, wobei für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist, dass das Gebäude in seiner heutigen, im Jahr 2018 aufgrund einer Baugenehmigung noch veränderten Form keinen Bestandsschutz genießt.
4 Die Entscheidung
Mit einem Zwischenerfolg! Nach der Gemeinschaftsordnung komme es für einen Beseitigungsanspruch auf das Vorliegen einer Baugenehmigung bzw. die Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens an. Hierzu habe das LG aber keine Feststellungen getroffen. Sollte das Bauvorhaben durch eine Baugenehmigung gedeckt sein, scheide ein Beseitigungsanspruch aus. Dass eine Baugenehmigung "unbeschadet der Rechte Dritter" ergehe, ändere nichts, da es nach der Gemeinschaftsordnung auf die Baugenehmigung ankomme.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall haben die Wohnungseigentümer der Sache nach § 20 Abs. 1 WEG – also die Notwendigkeit, dass eine bauliche Veränderung durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu gestatten ist – abbedungen. Fraglich ist, was in einem solchen Fall für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer baulichen Veränderung gilt.
Haben die Wohnungseigentümer § 20 Abs. 1 WEG abbedungen, gehen die Gerichte davon aus, dass die übrigen Wohnungseigentümer im Zusammenhang mit baulichen Veränderungen des gemeinschaftlichen Eigentums die Einhaltung drittschützender Normen des öffentlichen Rechts verlangen können. Dem stimmt der BGH zu! Auch er meint in Rn. 12, im Zweifel löse nicht jeder Verstoß gegen eine öffentlich-rechtliche Norm einen Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB aus. Vielmehr müsse der von der baulichen Veränderung verletzten Norm des öffentlichen Rechts Drittschutz zukommen.
Öffentliches Recht
Ein Wohnungseigentümer kann keine verwaltungsgerichtliche Nachbarklage gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer oder gegen einen anderen Wohnungseigentümer erheben. Nach der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte schließt das Sondereigentum öffentlich-rechtliche Nachbarschutzansprüche innerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft aus! Wann und in welchem Umfang materielle Abwehrrechte eines Wohnungseigentümers gegen baurechtlich unzulässige Baumaßnahmen auf dem gemeinschaftlichen Grundstück bestünden, sei auf dem ordentlichen Rechtsweg vor den Zivilgerichten zu klären. Daran habe sich durch das WEMoG nichts geändert.
Dieses Denken hat zur Folge, dass der öffentlich-rechtliche Rechtsschutz in das Wohnungseigentumsverfahren verlagert wird. Dort können die anderen Wohnungseigentümer nicht mehr, aber auch nicht weniger verlangen als Nachbarn auf real geteilten Grundstücken, mit denen sie so weit wie möglich gleichgestellt werden möchten. Deshalb ist es ...