1 Leitsatz

Haben die Wohnungseigentümer § 22 Abs. 1 WEG abbedungen, sind für die Frage, was erlaubt und was verboten ist, die allgemeinen nachbarrechtlichen Vorschriften des Privatrechts (insbesondere die §§ 906ff. BGB und das landesrechtliche Nachbarrecht) und des öffentlichen Rechts, soweit es drittschützenden Charakter habe (z. B. Abstandsflächenvorschriften), entsprechend anzuwenden. Zudem darf eine Maßnahme nicht zu einer "unzumutbaren Benachteiligung" der übrigen Wohnungseigentümer führen.

2 Normenkette

WEG § 22 Abs. 1; BGB § 906; § 1004 Abs. 1 Satz 2

3 Sachverhalt

Wohnungseigentümer K begehrt von Wohnungseigentümer B Unterlassung. B soll verboten werden, auf Grundlage eines ihm erteilten Bauvorbescheids ein Einfamilienhaus auf dem Grundstück zu errichten. Das AG weist die Klage ab. Nach der Gemeinschaftsordnung habe B für die Errichtung des Hauses keiner Zustimmung bedurft. Erhebliche nachbarrechtliche Belange seien auch nicht beeinträchtigt. Dagegen richtet sich die Berufung.

4 Entscheidung

Ohne Erfolg! Zwar stelle die geplante Errichtung des Hauses eine bauliche Veränderung i. S. v. § 22 Abs. 1 WEG dar, der K nicht zugestimmt habe. Nach der Gemeinschaftsordnung sei indes jeder Sondereigentümer berechtigt, an seinem Sondereigentum und an den seinem Sondernutzungsrecht unterliegenden Gebäudeteilen beliebige bauliche Veränderungen vorzunehmen und auf dem Grundstück Bauwerke, z. B. eine Garage, zu errichten. Hierin liege eine Abbedingung des Zustimmungserfordernisses aus § 22 Abs. 1 WEG. Liege es so, seien die allgemeinen nachbarrechtlichen Vorschriften des Privatrechts (insbesondere die §§ 906ff. BGB und das landesrechtliche Nachbarrecht) und des öffentlichen Rechts, soweit sie drittschützenden Charakter haben (z. B. Abstandsflächenvorschriften), entsprechend anzuwenden. Zudem dürfe die Gestattung der Vornahme nicht zu einer "unzumutbaren Benachteiligung der übrigen Wohnungseigentümer" führen. Daran gemessen sei der Neubau des B nicht zu beanstanden.

Hinweis

Die Bestimmung des § 22 Abs. 1 WEG ist, wovon das LG zu Recht ausgeht, abdingbar (dies meint, dass man sie verändern oder gänzlich ausschließen kann). Die Wohnungseigentümer können z. B. die Beschlussanforderungen erhöhen oder senken. Vorstellbar ist auch eine Vereinbarung, bauliche Veränderungen nur oder zusätzlich an eine Zustimmung des Verwalters oder eines anderen Dritten zu binden. Wird, wie im Fall, § 22 Abs. 1 WEG völlig abbedungen, sind die allgemeinen nachbarrechtlichen Vorschriften des Privatrechts (insbesondere §§ 906ff. BGB und das etwaige landesrechtliche Nachbarrecht) und des öffentlichen Rechts, soweit sie drittschützenden Charakter haben, entsprechend anzuwenden. Bauliche Veränderungen dürfen dann im Rahmen des öffentlich-rechtlich Zulässigen durchgeführt werden. Die übrigen Wohnungseigentümer können die Einhaltung drittschützender Normen verlangen. Eher neu ist die weitere Einschränkung, dass das Bauvorhaben die anderen Wohnungseigentümer nicht unzumutbar benachteiligen darf. Mir selbst ist unklar, wann diese Unzumutbarkeit angenommen werden soll.

Hinweis: Strengere Voraussetzungen

Die Wohnungseigentümer können auch strengere Voraussetzungen vereinbaren, etwa, dass eine bauliche Veränderung nur dann erlaubt ist, wenn sie im Rahmen der baupolizeilichen Vorschriften zulässig ist und zwingende Gesetzesvorschriften nicht entgegenstehen. Ferner kann vereinbart werden, dass eine bauliche Veränderung nur erlaubt ist, wenn die Rechte der anderen Wohnungseigentümer unter Berücksichtigung der tatsächlich gegebenen Umstände nicht in unzulässiger Weise beeinträchtigt werden.

5 Link zur Entscheidung

LG Hamburg, Urteil v. 3.7.2019, 318 S 47/18

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