Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufiger Rechtsschutz gegen Baugenehmigung. Einvernehmen der Gemeinde (Fiktion). Ersetzung des Einvernehmens. Veränderungssperre. Rechtsschutzbedürfnis. Antragsbefugnis. Nutzungsänderung (Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO). Antrag der Antragstellerin auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 31. Juli 2000
Leitsatz (amtlich)
1. Die Versagung des Einvernehmens zu einem Bauvorhaben ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung der Gemeinde, die erst wirksam wird, wenn sie der Bauaufsichtsbehörde zugeht. Die Gemeinde hat im Zweifel den Zugang der nicht formgebundenen Erklärung zu beweisen.
2. Wird die Versagungsfrist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB versäumt, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gegeben.
Normenkette
BauGB § 14 Abs. 3, § 36 Abs. 2 S. 2; BGB § 130 Abs. 3, 1 S. 1; BayBO Art. 74 Abs. 3 S. 2; BayVwVfG Art. 43 Abs. 1
Verfahrensgang
VG München (Beschluss vom 31.07.2000; Aktenzeichen 9 S 99.4095) |
Tenor
I. Die Beschwerde wird zugelassen.
II. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
III. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde war zuzulassen, weil die Rechtssache besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist (§ 146 Abs. 4 i.V. mit § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Die Beschwerde hat keinen Erfolg, denn das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens und gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung einer Berufsimkerei zum Betriebsleiterhaus für einen Pensionspferdehaltungsbetrieb und zum Neubau eines Pferdestalles zu Recht abgelehnt.
Die Entscheidung über die Beschwerde konnte mit der Entscheidung über die Zulassung der Beschwerde verbunden werden. Eine solche Entscheidungsverbindung dient der Beschleunigung des Eilverfahrens. Die Beteiligten wurden hierauf hingewiesen und hatten Gelegenheit, sich auch zur Sache zu äußern.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Bescheid vom 10. Juni 1999 anzuordnen, ist unzulässig. Dies folgt daraus, dass schon der Widerspruch gegen diesen Bescheid unzulässig ist.
1. Für die Anfechtung der Ersetzung des Einvernehmens fehlt der Antragstellerin das Rechtsschutzbedürfnis, denn die Aufhebung dieser Regelung wäre für sie nutzlos, weil ihr Einvernehmen seit 27. August 1998 gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB als erteilt gilt.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Ersetzung des Einvernehmens anzuordnen (§ 80 a Abs. 3 Satz 1 i.V. mit Abs. 1 Nr. 2 VwGO), ist zwar statthaft, denn diese Maßnahme ist ein Verwaltungsakt (a), der kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist (b) und gegen den fristgerecht Widerspruch erhoben worden ist (c).
a) Die Ersetzung ihres Einvernehmens ist gegenüber der Antragstellerin ein Verwaltungsakt (Simon, BayBO 1994, Art. 81 RdNr. 70; Hölzl/Hien, Gemeindeordnung mit Verwaltungsgemeinschaftsordnung, Landkreisordnung und Bezirksordnung, Art. 113 GO Anm. 4. a), denn sie stellt eine der Bestandskraft fähige hoheitliche Regelung des Staates gegenüber der Gemeinde dar, die der Sache nach verbindlich feststellt, dass die Gemeinde verpflichtet ist, eine Zustimmungserklärung abzugeben, und die gleichzeitig diese Verpflichtung ersatzweise erfüllt. Daran ändert nichts, dass die Versagung oder Erteilung des Einvernehmens kein Verwaltungsakt ist (BVerwG v. 25.10.1967 NJW 1968, 905/906), sondern eine bloße verwaltungsinterne Willenserklärung einer Behörde gegenüber einer anderen Behörde im Baugenehmigungsverfahren. Die Rechtsnatur der Ersatzvornahme folgt nämlich nicht der Rechtsnatur des ersatzweise Vorgenommenen (vgl. BVerwG v. 25.4.1972 DVBl 1972, 828/829 zu einer Satzungsänderung im Wege der Ersatzvornahme).
b) Die Ersetzung des Einvernehmens ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung des Art. 74 Abs. 3 Satz 2 BayBO erfasst von seiner Zweckbestimmung her nicht nur die Fälle, in denen die Genehmigung gemäß Satz 1 der Vorschrift zugleich als Ersatzvornahme gilt, sondern auch die Fälle, in denen das Einvernehmen ausdrücklich ersetzt worden ist.
c) Unerheblich ist, ob die Ersetzung des Einvernehmens – sei sie ausdrücklich oder gemäß Art. 74 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO fiktiv erfolgt –, einen Verwaltungsakt i.S. des § 44 a Satz 1 VwGO darstellt, der nicht selbstständig, sondern nur zusammen mit der zugehörigen Baugenehmigung angefochten werden kann (Kopp/ Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 44 a RdNr. 6) mit der Folge, dass sich der Widerspruch gegen die Baugenehmigung auf die Ersetzung des Einvernehmens erstreckt. Die Antragstellerin hat nämlich den Bescheid vom 10. Juni 1999, der beide Regelungen enthält, insgesamt angefochten; sie hat dies rechtzeitig getan.
Der somit statthafte...