Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung in Schwerbehindertensachen
Leitsatz (redaktionell)
1. Für eine Klage auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft und einer erheblichen Gehbehinderung ist keine anwaltliche Vertretung erforderlich, falls keine Beeinträchtigungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet geltend gemacht werden.
2. Mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache erfordert nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts; sie kann nur zur Hinzuziehung eines Dolmetschers veranlassen.
Normenkette
ZPO § 121 Abs. 2; SGG § 73a Abs. 1 S. 1, § 103 S. 1; SGB IX § 2 Abs. 2, § 69 Abs. 1 S. 1, Abs. 4
Tenor
Die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 21.06.2006 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 12.06.2006 - S 15 SB 245/06 - wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
In dem dem Beschwerdeverfahren wegen Gewährung von Prozesskostenhilfe zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt der Beschwerdeführer die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne von §§ 2 Abs.2, 69 Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie des Merkzeichens "G".
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales, Region Schwaben, vom 19.12.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 13.04.2006 ist der GdB mit 40 bewertet worden. Als Funktionsstörungen hat der Beklagte eine Funktionsbehinderung des linken Kniegelenkes mit Knorpelschäden berücksichtigt, ebenso eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen, weiterhin Durchblutungsstörungen des Herzens nach abgelaufenem Herzinfarkt samt Coronardilatation, weiterhin eine Zuckerkrankheit sowie eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung. Die Einzel-GdB-Werte sind mit 30, 20 und dreimal 10 angenommen worden.
In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Augsburg mit Beschluss vom 12.06.2006 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe diene allein dem Zweck der Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 121 Abs.1 bis 3 der Zivilprozessordnung (ZPO). Dies sei hier nicht erforderlich. Der Fall werfe ausschließlich Schwierigkeiten im medizinischen Bereich auf. - Im Übrigen seien die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ordnungsgemäß erklärt worden.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Beschwerdeschrift vom 21.06.2006 hervorgehoben, dass es sich hier um Schwierigkeiten der Sachlage handeln würde, die nur unter Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten bewältigt werden könnten. - Der Kläger spreche so gut wie kein Deutsch. Das Verfahren könnte, ohne dass der Kläger anwaltschaftlich vertreten sei, nicht im Einklang mit rechtsstaatlichen Grundsätzen geführt werden. - Im Übrigen sei der Bescheid vom 12.06.2006 über den Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) dem Kläger erst am 16.06.2006 zugegangen. Er habe daher nicht früher vorgelegt werden können.
Die Bevollmächtigten des Beschwerdeführers beantragen,
I. dem Kläger wird für die erste Instanz rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung Prozesskostenhilfe gewährt und
II. dem Kläger wird Herr Rechtsanwalt A. F. beigeordnet.
Der Beschwerdegegner hat mit Nachricht vom 20.07.2006 beantragt,
die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 12.06.2006 - S 15 SB 245/06 zurückzuweisen.
Das Sozialgericht Augsburg hat der Beschwerde nicht abgeholfen. - Von Seiten des Bayer. Landessozialgerichts sind die Behindertenakten des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Schwaben sowie die erstinstanzlichen Akten beigezogen worden.
II.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist zulässig (§§ 73 a, 172 ff. SGG i.V.m. § 127 Abs.2 Satz 2 ZPO).
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Eine Beiordnung gemäß § 121 Abs.1 ZPO ist nicht erforderlich, weil in sozialgerichtlichen Verfahren erster und zweiter Instanz eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben ist.
Weiterhin ist die Beiordnung eines Rechtsanwaltes gemäß § 121 Abs.2 ZPO in Angelegenheiten nach §§ 2 und 69 SGB IX hier nicht erforderlich. Denn der Ausgang des Verfahrens hängt regelmäßig von dem Ergebnis der Sachverhaltsermittlung im Sinne von §§ 103 ff. SGG ab. Insoweit bedarf es keiner anwaltschaftlichen Vertretung gleichsam als Mittler zwischen einem gegebenenfalls noch zu hörenden ärztlichen Sachverständigen und dem Beschwerdeführer.
Auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18.12.2001 - 1 BvR 331/01 - stützt das Beschwerdebegehren nicht. In dem dortigen Verfahren ist entscheidungserheblich gewesen, dass die Einschränkungen der intellektuellen Fähigkeiten des dortigen Beschwerdeführers im Hinblick auf dessen Leiden und Beeinträchtigungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet nicht ausreichend gewürdigt worden sind. Vergleichbar schwerwiegende Funktionsstörungen auf nervenfachärztlichem Gebiet sind hier jedoch nicht...