Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhängung eines Ordnungsgeldes bei Nichterscheinen eines persönlich geladenen Beteiligten. Ermessensausübung
Leitsatz (amtlich)
Aus dem Ordnungsgeldbeschluss gegen einen nicht erschienenen Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war, muss erkennbar sein, dass bei der Verhängung des Ordnungsgeldes eine Ermessensentscheidung getroffen worden ist.
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Ordnungsgeldbeschluss des Sozialgerichts München vom 18.10.2022 aufgehoben.
II. Die außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin für die Beschwerde trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf.) wendet sich gegen den Ordnungsgeldbeschluss vom 18.10.2022, den das Sozialgericht München (SG) gegen sie wegen unentschuldigten Nichterscheinens zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.10.2022 verhängt hat.
Die Bf. und ihre Tochter K sind Klägerinnen im Klageverfahren vor dem SG gegen das Jobcenter Altötting unter dem Az. S 58 AS 2796/18. Die Bf. wird als Klägerin zu 1) und ihre Tochter wird als Klägerin zu 2) geführt. Außerdem ist die Bf. Bevollmächtigte ihrer Tochter im Klageverfahren.
Das SG hat mit getrennten Ladungsschreiben vom 29.07.2022 beide Klägerinnen und die Zeugen S und M zur mündlichen Verhandlung am 18.10.2022 um 11:30 Uhr geladen. Mit den Ladungsschreiben hat das SG das persönliche Erscheinen der beiden Klägerinnen angeordnet. Die Ladung ist der Bf. laut Postzustellungsurkunde (PZU) am 02.08.2022 zugestellt worden.
Mit Schreiben des SG vom 07.09.2022 ist der Bf. mitgeteilt worden:
"in dem Rechtsstreit
A. u.a. ./. Jobcenter Altötting
wird das persönliche Erscheinen der Klägerin zu 2) zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.10.2022 aufgehoben."
Ein gleichlautendes Schreiben hat die Tochter der Bf., die Klägerin zu 2), unter ihrer Adresse erhalten.
Im Termin am 18.10.2022 ist keine der beiden Klägerinnen erschienen; auch der Zeuge S ist ausgeblieben. Die Kammer hat nach geheimer Beratung gegen die Bf. ein Ordnungsgeld in Höhe von 250,00 Euro festgesetzt. Tenor und Gründe lauten:
"Gegen die unentschuldigt ausgebliebene Klägerin zu 1) wird ein Ordnungsgeld in Höhe von 250,00 € festgesetzt.
Gründe:
Die ordnungsgemäß geladene Klägerin zu 1) ist trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens unentschuldigt nicht erschienen. Gegen sie war gemäß § 202 SGG iVm § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO Ordnungsgeld zu verhängen. Die Höhe des verhängten Ordnungsgeldes bestimmt sich nach Art. 6 Abs. 1 EGStGB. Vorliegend erschien die festgesetzte Höhe angemessen."
Die den Beschluss enthaltende Niederschrift zur mündlichen Verhandlung ist der Bf. laut PZU am 21.10.2022 durch Einwurf in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt worden.
Am 25.10.2022 ist beim SG ein Schreiben der Bf. vom 23.10.2022 eingegangen, mit dem diese gegen den Beschluss vom 18.10.2022 "Widerspruch" eingelegt hat. Die Bf. hat auf das Schreiben des Gerichts vom 07.09.2022 verwiesen und weiter ausgeführt, dass ein persönliches Erscheinen ohnehin für sie fast unmöglich bzw. enorm anstrengend wäre, da sie mittlerweile Pflegegrad 4 habe.
Das Schreiben ist an das Bayerische Landessozialgericht (LSG) weitergeleitet worden.
II.
Da sich die Bf. mit ihrem "Widerspruch" gegen den Ordnungsgeldbeschluss des SG vom 18.10.2022 wendet, legt sie sinngemäß das Rechtsmittel der Beschwerde ein. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde erweist sich im Ergebnis auch als begründet.
Voraussetzung für die Festsetzung eines Ordnungsgeldes ist eine ordnungsgemäße Ladung und das unentschuldigte Ausbleiben des Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war, §§ 111 Abs. 1, 106 Abs. 2 und 3 Nr. 7, 202 SGG in Verbindung mit (i.V.m.) §§ 141, 380, 381 Zivilprozessordnung (ZPO).
Nach den §§ 111 Abs. 1, 106 Abs. 2 und 3 Nr. 7, 202 SGG i.V.m. § 141 ZPO kann das persönliche Erscheinen eines Beteiligten zu einem Termin zur mündlichen Verhandlung bzw. zur Erörterung des Sachverhalts angeordnet werden und gegen denjenigen, der der Anordnung nicht Folge leistet, Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden.
Ob der Vorsitzende das persönliche Erscheinen eines Beteiligten nach den §§ 111 Abs. 1, 106 Abs. 2 und 3 Nr. 7 SGG anordnen will, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Nach § 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist die Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Beteiligten jedenfalls dann ermessensfehlerfrei, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist insoweit der Ermessensspielraum aber noch weiter, wie der Wortlaut des § 106 Abs. 2 und 3 Nr. 7 SGG und insbesondere des § 111 Abs. 1 Satz 1 SGG zeigt, wonach die Gebotenheit zur Aufklärung des Sachverhalts nicht vorausgesetzt wird (vgl. LSG Hamburg, Beschluss vom 06.03.2006 - L 5 B 159/04 AL; Hessisches LSG, Beschluss vom 07.09.2010 - L 8 KR 231/09 B; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Auflage 2020, § 11...