Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Eilverfahren: Auslegung eines Antrags
Leitsatz (amtlich)
Auslegung eines Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich des richtigen Antragsgegners.
Orientierungssatz
Ein gegen das "Arbeitsamt" gerichteter Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich Übernahme von Nebenkostennachzahlungen kann dahingehend auszulegen sein, dass als Antragsgegner ein Jobcenter zugrunde zu legen ist.
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 12.03.2013 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Bayreuth zurückverwiesen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des Sozialgerichts Bayreuth vorbehalten.
Gründe
I.
Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Am 21.02.2013 hat die Antragstellerin (ASt) beim Sozialgericht Bayreuth (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das "Arbeitsamt A-Stadt (Sachbearbeiter S.)" beantragt. Die Leistungsabteilung sei zu verpflichten, die Nachzahlung ihrer Mietnebenkosten 2010 und 2011 zu übernehmen. Dies sei unter Verweis auf deren Verjährung abgelehnt worden. Sie sei nicht in der Lage die Kosten zu bezahlen. Die Antragsgegnerin (Ag) hat ausgeführt, dass zwar Stammdaten der ASt bei ihr gespeichert seien, es sich aber wohl um eine Angelegenheit des Jobcenters handele. Sie sei nicht passivlegitimiert, da sie keine Leistungen nach dem SGB II erbringe. Mangels Leistungsunterlagen sei eine Aktenübersendung nicht möglich.
Mit Beschluss vom 12.03.2013 hat das SG den Antrag abgelehnt. Die Ag habe die von der ASt geltend gemachten Kosten mangels Zuständigkeit schon dem Grunde nach nicht zu erstatten.
Dagegen hat die ASt Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Ihr Antrag sei vom SG falsch bearbeitet worden. Sie habe den Sachbearbeiter Herrn S. angegeben. Es habe nicht einfach davon ausgegangen werden können, sie habe die Agentur für Arbeit gemeint. Das Nachzahlungsverlangen gehöre zum Bedarf im aktuellen Fälligkeitsmonat.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und im Sinne einer Zurückverweisung an das SG begründet.
Das SG hat zu Unrecht die Agentur für Arbeit als Antragsgegnerin erachtet. Unter Auslegung des Antrages der ASt hätte das SG den Jobcenter für den Landkreis A-Stadt als Antragsgegner zugrunde legen müssen und über den entsprechenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II durch diesen entscheiden müssen.
Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Soweit die Klage nicht einen nach § 92 SGG bestimmten Antrag enthält, der zu Zweifeln über das Gewollte keinen Anlass gibt, muss das Gericht mit dem Beteiligten klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden, § 106 Abs 1 und § 112 Abs 2 Satz 2 SGG; hat das keinen Erfolg, muss der Antrag ausgelegt werden (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 123 Rn 3). Das Gericht muss klären, welche Anträge gestellt werden sollen, und darf bei seiner Entscheidung über die Anträge nicht hinausgehen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 95 Rn 5a). Die Vorschriften gelten auch für eine Entscheidung durch Beschluss (vgl Keller aaO § 142 Rn 3a).
Aus dem Antrag der ASt ergibt sich unzweifelhaft, dass es sich bei der begehrten Übernahme der Nebenkostennachzahlungen um einen Anspruch nach dem SGB II handelt. Daran ändert die falsche Bezeichnung des Ag nichts, zumal die ASt den Antrag gegen das "Arbeitsamt" gerichtet hat, dass es als solches nicht mehr gibt. Auch die Ausführungen der Ag, die das SG nach Aktenlage der ASt nicht einmal zur Stellungnahme vor der Beschlussfassung übersandt hat, lassen keinen Zweifel daran, gegen wen der Antrag gerichtet werden sollte. Hätte das SG noch Zweifel gehabt, so hätte es jedenfalls auf einen sachdienlichen Antrag gegen den Jobcenter hinwirken müssen.
Nachdem das SG in der Sache bislang nicht über einen Anspruch der ASt auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entschieden hat, hält der Senat nach Abwägung der Interessen der Beteiligten an einer möglichst schnellen Sachentscheidung und dem Verlust einer Instanz eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG zur erneuten Entscheidung unter Berichtigung des Ag für notwendig und ermessensgerecht (§ 159 Abs 1 Nr 1 SGG analog). Das SG wird dann auch über die Erstattung von außergerichtlichen Kosten insgesamt zu befinden haben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Fundstellen