Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit: Anhörungsrüge. Darlegungserfordernis gem § 178a Abs 2 S 5 SGG. Statthaftigkeit einer Gegenvorstellung. Erfüllung des Darlegungserfordernisses
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Gegenvorstellung ist auch nach Einführung der Anhörungsrüge bei einer noch vom Gericht selbst abänderbaren Entscheidung statthaft.
2. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Gegenvorstellung beurteilen sich nach den identischen Gesichtspunkten wie die der Anhörungsrüge, sodass insbesondere das fristgebundene Darlegungserfordernis zu beachten ist.
3. Mit einem Wiederholen, Variieren oder Ergänzen eines bereits zuvor erfolgten Vortrags kann das Darlegungserfordernis nicht erfüllt werden.
Orientierungssatz
Zur Unzulässigkeit einer Anhörungsrüge wegen Nichterfüllung der Darlegungserfordernisses gem § 178a Abs 2 S 5 SGG.
Tenor
I. Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss vom 26.11.2021 wird als unzulässig verworfen.
II. Die Gegenvorstellung gegen den Beschluss vom 26.11.2021 wird als unzulässig verworfen.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 26.11.2021 wies der Senat die Beschwerde des Klägers (und Beschwerdeführers) gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Augsburg vom 15.06.2020 zurück, mit dem es das SG abgelehnt hatte, dem Kläger Prozesskostenhilfe (PKH) für das Verfahren vor dem SG Augsburg mit dem Aktenzeichen S 11 U 74/20 zu gewähren. In diesem Verfahren geht es darum, ob die Beklagte (und Beschwerdegegnerin) infolge eines Überprüfungsantrags gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch beim Kläger eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) i.V.m. Nr. 2108 und 2110 der Anlage zur BKV anzuerkennen hat. Die Zurückweisung der Beschwerde begründete der Senat in seinem 12-seitigen Beschluss damit, dass das SG zu Recht die Gewährung von PKH wegen fehlender Aussicht auf Erfolg abgelehnt habe.
Der Beschluss wurde dem Kläger am 07.12.2021 zugestellt.
Mit Schreiben vom 14.12.2021, bei Gericht eingegangen am 21.12.2021, hat sich der Kläger mit folgenden Worten an den Präsidenten des Bayer. Landessozialgerichts (LSG) gewandt: "Ich möchte Beschwerde gegen das Beschluss vom 26 November 2021 Az L 2 U 187/20 B PKH oder mindestens ein Überprüfung." Zur Begründung hat er vorgetragen, dass EU-Recht nicht angewendet und falsche Behauptungen zu Grunde gelegt worden seien. Seine beruflichen Belastungen in Großbritannien seien nicht miteingerechnet worden. Wegen eines Morbus Scheuermann sei er nie behandelt worden; diese Erkrankung sei nicht vordiagnostiziert gewesen, auch nicht bei der Musterung und Entlassung aus der britischen Armee. Auch in zwei schwerbehindertenrechtlichen Verfahren hätten keine Befunde mit Morbus Scheuermann vorgelegen. Für einen Berufssoldaten sei ein Morbus Scheuermann ein Ausschlussgrund gewesen. Mit seiner Wirbelsäule sei alles normal gewesen. Er sei nicht bei der Infanterie, sondern bei der Artillerie gewesen, wo er viele schwere Sachen habe schleppen müssen, z.B. Granaten mit 35 kg. Auch sei nach einer Entscheidung des LSG Sachsen ein monosegmentaler Schaden vor dem 45. Lebensjahr kein Ablehnungsgrund. Dieses Urteil sei neu und in der letzten Verhandlung nicht "dabei" gewesen.
Das Schreiben des Klägers vom 14.12.2021 ist dem Senat nach Beantwortung der an den Präsidenten gerichteten Beschwerde von diesem zugeleitet worden.
II.
Das Schreiben des Klägers vom 14.12.2021 beinhaltet eine Anhörungsrüge und eine Gegenvorstellung; beide sind unzulässig.
1. Auslegung des Schreibens vom 14.12.2021
Das Schreiben des Klägers vom 14.12.2021, das dieser als "Beschwerde" oder "mindestens" als Antrag auf "Überprüfung" der Entscheidung des Senats vom 26.11.2021 bezeichnet hat, ist, wie seine Auslegung ergibt, als Anhörungsrüge zu dem in Sachen des Klägers ergangenen Beschluss des Senats vom 26.11.2021 sowie als Gegenvorstellung zu diesem Beschluss zu sehen.
Maßstab der Auslegung von Prozesserklärungen und Anträgen bei Gericht ist der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 12.12.2013, B 4 AS 17/13), wobei der Grundsatz einer rechtsschutzgewährenden Auslegung zu berücksichtigen ist (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 29.11.1995, X B 328/94). Verbleiben Zweifel, ist von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 01.03.2011, B 1 KR 10/10 R), um dem Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt sowie dem damit verbundenen Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes gerecht zu werden (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschlüsse vom 30.04.2003, 1 PBvU 1/02, und vom 03.03.2004, 1 BvR 461/03).
Bei Beachtung dieser Vorgaben ergibt die Auslegung, dass das Schreiben des Klägers vom 14.12.2021 zum einen als Anhörungsrüge gegen den in Sachen des Klägers ergangenen Beschluss des Senats vom 26.11.2021 zu betrachten ist; dass der Kläger in seinem Schreiben ein falsches Aktenzeichen ("L 2 ...