Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerdeverfahren betreffend die Übernahme der Kosten für ein nach § 109 SGG eingeholtes Gutachten auf die Staatskasse

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Ermessensentscheidung des Gerichts über die Übernahme der Kosten für ein auf Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG eingeholtes Gutachten auf die Staatskasse ist im Beschwerdeverfahren voll und nicht nur auf Ermessensfehler überprüfbar.

2. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Gutachten die Sachaufklärung bei objektiver Wertung wesentlich gefördert hat.

3. Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Gutachtensergebnissen ist Aufgabe des Tatsachengerichts und gehört zur Beweiswürdigung. Eine etwaig fehlerhafte Beweiswürdigung ist nicht in einem Beschwerdeverfahrend betreffend die Übernahme der Gutachtenskosten auf die Staatskasse zu überprüfen.

4. In Beschwerdeverfahren betreffend die Übernahme der Kosten für ein nach § 109 Abs. 1 SGG eingeholtes Gutachten auf die Staatskasse ist eine Entscheidung über die Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten erforderlich.

 

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 30.11.2022 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Das Beschwerdeverfahren betrifft die Frage, ob Kosten für zwei Sachverständigengutachten, die im Hauptsacheverfahren auf Antrag der Klägerin und hiesigen Beschwerdeführerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt worden sind, auf die Staatskasse zu übernehmen sind.

In dem zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren (Klageverfahren beim Sozialgericht Bayreuth - SG - S 14 SB 117/19 sowie Berufungsverfahren beim Bayerischen Landessozialgericht - LSG - L 18 SB 33/21) wandte sich die Klägerin dagegen, dass der Beklagte mit Bescheid vom 01.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.04.2019 den bei ihr zuvor mit Bescheid vom 12.01.2016 festgestellten Grad der Behinderung (GdB) von 60 auf 40 herabgesetzt hatte. Der Beklagte hatte seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass hinsichtlich der Erkrankung der linken Brust eine Heilungsbewährung eingetreten sei.

Im anschließenden Klageverfahren holte das SG zunächst gemäß § 106 SGG ein Gutachten der F (Fachärztin für Psychiatrie) ein, welches in einem Beweisaufnahmetermin am 24.07.2019 erstattet wurde. F bestätigt den Eintritt der Heilungsbewährung und gelangte zu dem Ergebnis, dass der Gesamt-GdB 40 betrage. Folgende Behinderungsleiden lägen vor:

1. Seelische Störung, Somatisierungsstörung, posttraumatische Belastungsstörung (Einzel-GdB 30)

2. Teilverlust der Brust links, Narbenbeschwerden, Verlust beider Eierstöcke, Verlust der Gebärmutter (Einzel-GdB 20)

3. Schwerhörigkeit links mit Ohrgeräuschen (Einzel-GdB 10)

4. Funktionsbehinderung beider Schultergelenke, Bursitis (Einzel-GdB 10)

5. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10)

In Bezug auf die psychische Erkrankung lasse sich eine wesentliche Änderung nicht feststellen. Die Klägerin leide unter einer rezidivierenden depressiven Störung, zurzeit leicht bis mittelgradig ausgeprägt, sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung, welche gesprächstherapeutisch behandelt werde. Ein chronischer Verlauf liege vor. Außerdem liege eine psychische Überlagerung der körperlichen Beschwerden vor, die bei der Diagnose der Somatisierungsstörung Berücksichtigung finde.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG haben anschließend K (Facharzt für Nervenheilkunde, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin) und K1 (HNO-Arzt) ihre Gutachten erstattet.

K ging in seinem Gutachten vom 03.01.2020 davon aus, dass bei der Klägerin ein Gesamt-GdB von 60 auf nervenärztlichem Fachgebiet befundangemessen sei. Bei einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, mittelgradigen Depression und seelischer Schmerzerkrankung lägen mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten vor. Bereits im Ausgangsbescheid des Beklagten vom 12.01.2016 seien zentrale Aspekte der seelischen Erkrankung der Klägerin nicht erfasst worden. Die Erlebens- und Gestaltungsfähigkeit der Klägerin sei bei erheblichen beruflichen und sozialen Anpassungsstörungen deutlich beeinträchtigt.

K1 führte in seinem Gutachten vom 21.06.2020 aus, dass auf HNO-ärztlichem Fachgebiet im Vergleich zum Bescheid vom 12.01.2016 keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Der tonaudiometrische Hörverlust habe am 04.12.2014 - ebenso wie im aktuellen gutachterlichen Tonaudiogramm - rechts 10 % und links 25 % betragen. Richtigerweise wäre das Behinderungsleiden bereits im Bescheid vom 12.01.2016 als beidseitige Schwerhörigkeit mit beidseitigen Ohrgeräuschen zu bezeichnen gewesen. Am Einzel-GdB von 10 ändere dies jedoch nichts.

Der Beklagte hielt an seinem Antrag auf Klageabweisung fest und nahm insoweit Bezug auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des S (Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Sozialmedizin) vom 20.07.2020 und der B (Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Sozialmedizin) vom 28.07.2020. Insbesondere der GdB-Bewertung...

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