Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Übergangsregelung während der Corona-Pandemie. Angemessenheitsfiktion. Erhöhung der Unterkunftskosten durch Umzug nach Ablehnung der vorherigen Zusicherung durch den Grundsicherungsträger. Wohngemeinschaft mit Untermieter. keine Anwendung des Kopfteilprinzips. Verminderung des Unterkunftsbedarfs um Einnahmen aus der Untervermietung. Darlehen für die Mietkaution unter Annahme der Erforderlichkeit des Umzugs
Leitsatz (amtlich)
1. Die Angemessenheitsfiktion des § 67 Abs 3 S 1 SGB II ist auch dann anwendbar, wenn weder die Hilfebedürftigkeit noch der Umzug direkt auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sind.
2. Tatsächliche Einnahmen aus einem Untermietverhältnis mindern unmittelbar den Bedarf der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung des Hauptmieters (§ 22 Abs 1 S 1 SGB II).
3. Nach einem Umzug findet eine Deckelung auf einen früher anerkannten Bedarf an Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 S 2 SGB II nicht statt, wenn der Anwendungsbereich des § 67 Abs 3 S 1 SGB II eröffnet ist.
4. Die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Eilbedürftigkeit ist in aller Regel gegeben, wenn der Leistungsträger zu Unrecht Leistungen für laufende Kosten der Unterkunft und Heizung versagt und es hierdurch bei dem Hilfebedürftigen zu einer Bedarfsunterdeckung kommt.
Orientierungssatz
Zur Gewährung von Leistungen für die Mietkaution nach § 22 Abs 6 SGB 2, wenn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach summarischer Prüfung mehr für die Erforderlichkeit des Umzugs als dagegen spricht.
Tenor
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 8. Juni 2021 abgeändert. Der Beschwerdegegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, der Beschwerdeführerin für die Zeit vom 01.06.2021 bis 31.10.2021 über die bereits bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch hinaus weitere Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 418,10 € zu zahlen und ein Darlehen zur Begleichung der noch offenen Mietkaution in Höhe von 2007 € zu gewähren und den Betrag direkt an den Vermieter (M-Haus Kautionen, IBAN DE..., Verwendungszweck ...) zu überweisen.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
III. Der Beschwerdegegner erstattet der Beschwerdeführerin 4/5 der notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Bf) wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts München, mit dem ihr Eilantrag gerichtet auf die Gewährung von höheren laufenden Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit ab 01.06.2021 und einer Mietkaution in Höhe von zuletzt 2007 € abgelehnt wurde.
Die Bf wohnte bis Januar 2021 in einer etwa 34 qm großen Wohnung in der A-Straße in A-Stadt, für die sie nach einer Mieterhöhung um 51,18 € im Oktober 2020 zuletzt eine Grundmiete von 443,22 € sowie eine Heiz- und Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 125 € monatlich schuldete. Seit etwa neun Jahren wohnte Herr K (K), der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) erhält, zur Untermiete mit in der Wohnung der Bf. K zahlte hierfür 200 € monatlich. Die Bf und K versicherten mehrfach gegenüber dem Antrags- und Beschwerdegegner (Bg) kein Paar zu sein, sich seit Kindertagen zu kennen und nur eine Wohn-/Haushaltsgemeinschaft zu bilden. Die Bf gab an, K zur Vermeidung der Obdachlosigkeit im Anschluss an seine Haftentlassung bei sich aufgenommen zu haben; er sei mit ihrem mittlerweile verstorbenen Bruder befreundet gewesen.
Der Bg bewilligte der Bf Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Mai 2020 bis April 2021 und erkannte dabei Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) von zuletzt 368,22 € (243,22 € Grundmiete, 32,98 € Heizkosten, 92,02 € Nebenkosten) als Bedarf an (Bescheide vom 25.03.2020, 21.11.2020, 23.02.2021). Bei der Leistungsberechnung zog der Bg die gezahlte Untermiete von den anzuerkennenden KdUH der Bf ab.
Mit E-Mail vom 12.01.2021 beantragte die Bf beim Bg die Zustimmung zum Umzug in eine 55 qm große Zwei-Zimmer-Wohnung im gleichen Haus zum 01.02.2021. Sie beabsichtige mit K weiterhin eine Wohngemeinschaft zu bilden. Sie wohne mit K auf nur 34 qm und suche seit etwa sechs Jahren nach einer anderen Wohnung. Als Bezieher von Sozialleistungen sei es sehr schwer eine bezahlbare Wohnung zu finden. Nach einer "misslungenen" Heizungssanierung sei die aktuell bewohnte Wohnung seit 2017 renovierungsbedürftig. Sie leide zudem unter Asthma, weshalb ein eigenes Zimmer für sie notwendig sei; die aktuelle Wohnung verfüge nur über ein Zimmer. Seit 03.12.2020 habe sie zudem kein Warmwasser, weil der Boiler defekt sei. Ihre Mietkosten würden sich künftig auf 460 € Kaltmiete sowie 90 € Nebenkostenvorauszahlung belaufen. Sie bitte um Rückäußerung des Bg bis Ende der Woche, da die Hausverwaltung ihre Antwort erwarte. Die Bf legte ein Mietangebot über e...