Entscheidungsstichwort (Thema)
Bildung des Gesamtgrads der Behinderung: Erhebliche Bewegungsbeeinträchtigung im Straßenverkehr
Leitsatz (redaktionell)
1. Wenn zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 zwei Behinderungen von je 20 GdB an anderen Organsystemen hinzukommen, so erhöht sich der Gesamt-GdB auf 40.
2. Eine erhebliche Bewegungsbeeinträchtigung im Straßenverkehr besteht nicht, wenn keine Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Gliedmaßen oder der Wirbelsäule, die für sich genommen einen Einzel-GdB von 50 oder 40 bedingen, oder Funktionsbeeinträchtigungen an inneren Organen (Herz, Lunge) mit einem Einzel-GdB von 50 vorliegen.
Normenkette
SGB IX § 69 Abs. 1 S. 1, Abs. 3-4, § 146 Abs. 1 S. 1
Tenor
Auf die Berufung des Klägers hin werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 12.08.2004 sowie der Bescheid des Beklagten vom 12.07.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2003 abgeändert und der Beklagte wird verpflichtet, beim Kläger für die vor-liegenden Behinderungen ab September 2007 einen Gesamt-Grad der Behinderung von 40 festzustellen.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger 2/10 der Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "RF" nach dem SGB IX im Wege einer sog. "Zugunstenentscheidung" gemäß § 44 SGB X ab März 1998 streitig.
Der Beklagte hat mit Ausführungsbescheid vom 03.07.2001 beim Kläger folgende Behinderungen bei einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 ab 01.07.1997 festgestellt:
Schwerhörigkeit beidseits,
bronchiale Hyperreagibilität,
Leistungsminderung bei offenem Ductus arteriosus Botalli,
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei Skoliose und degenerativen Veränderungen.
Im Erörterungstermin vom 29.05.2001 hat sich der Beklagte zudem bereit erklärt, nach Vorlage weiterer medizinischer Unterlagen seitens des Klägers (insbesondere Migräne, Augenproblematik) die Behinderungen neu festzustellen und zu prüfen, ob dem Kläger ab März 1998 ein höherer Grad der Behinderung als 30 zustehe.
Der Beklagte hat einen Befundbericht der Augenärztin Dr. K. vom 16.10.2001 eingeholt. Nach Auswertung dieses Befundberichtes durch den Internisten Dr. S. seitens des Beklagten wurde der Antrag des Klägers auf Neufeststellung nach § 69 SGB IX ab März 1998 mit Bescheid vom 12.07.2002 abgelehnt.
Der hiergegen eingelegte Widerspruch vom 19.08.2002 wurde in der Folge nicht begründet und deswegen mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2003 zurückgewiesen.
Gegen den Widerspruchsbescheid des Beklagten richtet sich die Klage des Klägers zum Sozialgericht Augsburg vom 14.02.2003.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 11.08.2003 weitere medizinische Unterlagen (Attest des Dr. P. vom 28.05.2003, Attest der Dres. S. und S. vom 04.03.2003, Attest des Dr. G. vom 12.05.2003 und ein Schreiben der Kriegsopfer-Rentenbehörde aus B.) übersandt.
Das Sozialgericht hat einen aktuellen Befundbericht der Gemeinschaftspraxis Dres. P. u.a. vom 01.02.2004 eingeholt, die einen Arztbrief der Gemeinschaftspraxis der Dres. D. u.a. vom 26.08.1999 mitübersandt haben. Daraufhin wurde der Internist Prof. Dr. S. zum Sachverständigen ernannt, der das fachinternistische Gutachten vom 19.05.2004 erstellt hat. Prof. Dr. S. hat folgende Diagnosen gestellt:
Schwerhörigkeit beidseits,
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei Skoliose und degenerativen Veränderungen,
Sehstörung (Flimmerskotome),
Zustand nach Verschluss eines Ductus arteriosus Botalli,
Hyperlipoproteinämie.
Der Gesamt-Grad der Behinderung betrage seit März 1998 20, dies gelte auch seit der Untersuchung des Klägers am 04.03.2004. Der Kläger sei in der Lage, ohne Beschwerden zwei Kilometer in 30 Minuten zurückzulegen. Der Kläger sei in keiner Weise von den üblichen öffentlichen Veranstaltungen behinderungsbedingt ausgeschlossen. Eine weitere Begutachtung sei nicht erforderlich.
Das Sozialgericht Augsburg hat mit Urteil vom 12. August 2004 die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe bezüglich der Höhe des GdB ein Rücknahme- und Neufeststellungsanspruch nach § 44 Abs.2 SGB X nicht zu. Das von dem Beklagten in diesem Rahmen ausgeübte Ermessen sei im Ergebnis nicht rechtsfehlerhaft. Die Ermittlungen des Gerichts hätten die Auffassung des Beklagten voll und ganz bestätigt. Das Gericht stütze sich hierbei auf die schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S..
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers zum Bayer. Landessozialgericht. Der Senat hat einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr. S. vom 10.09.2005 eingeholt, der Arztbriefe der Internistin Dr. E. vom 19.05.2005, des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 02.05.2005 und des HNO-Arztes Dr. H. vom 21.04.2005 mit übersandt hat. Hierzu und zu dem weiteren Schreiben des Klägers vom 10.10.2005 hat der Beklagte auf der Grundlag...