Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschäftigung. Selbständige Tätigkeit. Eingliederung in die Betriebsorganisation. Weisungsgebundenheit. Detaillierte Vereinbarungen im Vertrag. Unternehmerrisiko. Anschaffung von Transportfahrzeugen. Werbung

 

Leitsatz (amtlich)

Für ein Weisungsrecht des Auftraggebers ist von vornherein kein Raum, soweit Leistungspflichten bereits vertraglich konkretisiert sind.

 

Normenkette

SGB IV § 7 Abs. 1, § 7a; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1; SGB XI § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; SGB VI § 1 S. 1 Nr. 1; SGB III § 25 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beigeladenen zu 1 werden das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 20. Juli 2016 und die Bescheide vom 2. Januar 2015 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 24. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. August 2015 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Kläger die Tätigkeit als Kurierfahrer bei der Beigeladenen zu 1 in der Zeit vom 5. September 2013 bis 31. Dezember 2014 nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses ausübte und insoweit nicht der Versicherungspflicht zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Beigeladenen zu 1 und Berufungsklägerin.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Anfrageverfahrens gemäß § 7a Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) über den sozialversicherungsrechtlichen Status des Klägers hinsichtlich seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 1 (Berufungsklägerin) als Kurierfahrer in der Zeit vom 05.09.2013 bis zum 31.12.2014.

Der Kläger machte sich 2001 als Kurierfahrer selbstständig und meldete ein Gewerbe an. In der Zeit von 15.12.2001 bis 14.06.2002 bezog er einen Existenzgründungszuschuss (vgl. Bescheid der Agentur für Arbeit vom 24.01.2002). Laut Bescheid des zuständigen Rentenversicherungsträgers vom 06.03.2002 unterlag er nicht der Rentenversicherungspflicht gemäß § 2 Satz 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI), weil er, so die Begründung, auf Dauer und im Wesentlichen für mehr als einen Auftraggeber tätig sei. Am 20.05.2013 und am 26.06.2013 erwarb er im Namen seiner Firma für 5400 € und für 7000 € zwei gebrauchte Pkw (Ford Focus), nachdem er bereits am 05.03.2012 für 5350 € einen gebrauchten OPEL Combo für den Kurierdienst gekauft hatte.

Am 24.09.2013 schlossen der Kläger und die Beigeladene zu 1, ein rechtlich selbstständiges Tochterunternehmen der Mediengruppe O., einen unbefristeten Beförderungsvertrag zur Auslieferung von Druckerzeugnissen (F.T., außerdem überregionale (Tages-) Zeitungen, Prospekte, Kataloge, Briefsendungen). Nach § 1 Satz 1 dieses Vertrags übernimmt der Auftragnehmer ab 05.09.2013 als selbstständiger Unternehmer die Beförderung (Abholung und Zustellung) aller vom Auftraggeber beauftragen Zustellobjekte auf den vereinbarten Touren durch Einsatz geeigneter Fahrzeuge und geeignetem Fahrpersonal. Dabei erbringt er die Leistung in eigener Verantwortung (Satz 2). Des Weiteren obliegt ihm die Verkehrssicherungspflicht für alle im Zusammenhang mit der Leistungserbringung stehenden Tätigkeiten (Satz 3).

Die Beigeladene zu 1 (Auftraggeber) ist im Konzern für den Transport der Pressedruckerzeugnisse und Briefsendungen zuständig (Organisation, Planung und Durchführung der Zustelldienste), während in einem weiteren rechtlich selbstständigen Tochterunternehmen der Mediengruppe O. etwa 1400 Zeitungsausträger/ Zusteller angestellt sind. Im streitigen Zeitraum hatte die Beigeladene zu 1 außer dem Geschäftsführer fünf Beschäftigte und vier weitere Mitarbeiter, die die Tagesdisposition, Tourenplanung und Abrechnung mit den Fahrern erledigten und nachts auch Ansprechpartner für die Fahrer waren. Sie hatten sich beispielsweise darum zu kümmern, wenn ein Fahrer nicht gekommen war, Zeitungspakete einem Fahrer falsch zugeordnet waren oder kurzfristige Tourenänderungen wegen Erkrankung eines Zustellers erforderlich wurden. Angestellte Fahrer hatte die Beigeladene zu 1 nicht.

Aufgabe des Klägers war es, die versandfertig kommissionierte Ware an der Rampe in der Druckerei abzuholen und an die Zeitungsausträger auszuliefern bzw. bei deren Adressen abzulegen. Außerdem hatte er Briefrückläufer am Ende einer Tour an der vertraglich bestimmten Stelle abzugeben. Ihm wurden von der Beigeladenen zu 1 keine Arbeitsmittel wie etwa Fahrzeuge, Navigationsgeräte, Kommunikationsgeräte oder Software zur Verfügung gestellt. Er war verpflichtet, das Beförderungsgut von Montag bis Freitag spätestens um 01.25 Uhr und am Samstag um 01.55 Uhr abzuholen. Die Tour umfasste ein bestimmtes Gebiet, das von den Disponenten der Beigeladenen zu 1 so zugeschnitten worden war, dass das Beförderungsgut innerhalb von zwei bis drei Stunden ausgefahren werden konnte. Der Kläger kannte die in seinem Gebiet anzufahrenden Adressen. Über die konkrete Ausgestaltung der Tour konnte er frei entscheiden. Eine Umstellung der üblichen Route konnte beispielswei...

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