Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht: Beschädigtenrente wegen sexuellen Missbrauchs durch verschiedene Handlungen. Beweismaßstab
Leitsatz (amtlich)
1. Es bestehen keine Bedenken dagegen, hinsichtlich der behaupteten Taten auch innerhalb desselben Komplexes (hier sexueller Missbrauch durch verschiedene Handlungen) unterschiedliche Beweismaßstäbe anzuwenden.
2. Sowohl ein Nachweis als auch eine Glaubhaftmachung eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 OEG allein aufgrund des Vorliegens einer bestimmten Erkrankung ist grundsätzlich nicht möglich (Fortführung der ständigen Rechtsprechung des Senats).
Orientierungssatz
Zitierungen zu Leitsatz 2: Fortführung LSG München, 26. Januar 2016, L 15 VG 30/09, LSG München, 26. Januar 2016, L 15 VG 29/13
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 19. April 2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten wegen Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die 1976 geborene Klägerin, für die eine Betreuerin bestimmt wurde, begehrt eine solche Versorgung wegen erlittenem sexuellen Missbrauch durch ihren 2005 verstorbenen Vater D. P. und ihren 2000 verstorbenen Großvater H. P..
Im Rahmen eines Strafverfahrens gegen die Zeugin des streitgegenständlichen Verfahrens, die Schwester der Klägerin S. D., hat diese angegeben, selbst seit ihrem 13. Lebensjahr von ihrem Großvater H. P. sexuell missbraucht worden zu sein. Dabei hat sie u.a. ausgesagt, dass sie von der Klägerin erfahren habe, diese sei von dem gemeinsamen Vater D. P. in gleicher Weise missbraucht worden. Wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch ist durch die Polizei gegen D. P. ermittelt worden. Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens (Staatsanwaltschaft E-Stadt) ist in einem nervenärztlichen Gutachten vom 06.02.1995 vom Nervenarzt Dr. Sch. u.a. eine Entwicklungsverzögerung der Zeugin auf psychomotorischem, psychosozialem und intellektuellem Gebiet festgestellt worden, verursacht in einer frühkindlichen Hirnschädigung. Zuletzt ist vom Beklagten mit Bescheid vom 18.06.2008 ab 17.03.2008 ein GdB von 80 für die Zeugin festgesetzt worden, wobei ein Einzel-GdB von 70 wegen Beeinträchtigungen der psychomotorischen, intellektuellen und sprachlichen Fähigkeiten nach frühkindlicher Hirnschädigung, depressiven Verstimmungen mit selbstaggressiven Impulsen und chronischen Kopfschmerzen vergeben wurde.
Das Ermittlungsverfahren gegen D. P. wurde durch Verfügung gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung vom 08.05.2001 eingestellt. Ein Tatnachweis habe mit Blick auf die mehreren gutachterlichen Stellungnahmen hinsichtlich der Zeugentüchtigkeit der Klägerin nicht geführt werden können. Der Landgerichtsarzt Dr. B. habe eine schwere Persönlichkeitsstörung der Klägerin dargelegt, wobei zeitweise auch die Grenzen zur Psychose überschritten worden seien, verbunden mit einem Verlust des Realitätsbezugs. Nach Aktenlage handle es sich bei der Klägerin um eine Persönlichkeit, die Reales und Phantasiewelt nicht auseinanderhalten könne, überdies zu dramatisierendem Verhalten neige und deren Angaben auch unabhängig von einer evt. gegebenen sexuellen Problematik häufig sehr zweifelhaft gewesen seien. Eine Beschwerde der Klägerin gegen die Einstellung der Ermittlungen wurde zurückgezogen.
Die Klägerin stellte erstmals am 08.03.2002 Antrag beim Beklagten auf Beschädigtenversorgung mit Blick auf eine dissoziative Identitätsstörung.
Der Beklagte wertete die beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft E-Stadt aus. In einem Aktenvermerk vom 05.03.2001 berichtete eine Kriminaloberkommissarin von einer Aussage der die Klägerin behandelnden Psychologin S., die angegeben habe, dass die Klägerin bei ihr seit 1998 in Therapie sei. Die Klägerin leide nach ihrer Einschätzung an einer Persönlichkeitsstörung in der Ausprägung eines Borderline-Typs. Es gebe auch schizophrene Anteile. Die Klägerin steigere sich in etwas hinein und verliere dabei jeglichen Bezug zur Realität. Aufgrund der hysterischen Störung beziehe die Klägerin das durch Lesen und Fernsehen Erfahrene auf sich selbst und schildere es als selbsterlebt. Zu dem sexuellen Missbrauch könne sie, die Dipl.-Psych. S., keine Angaben machen. Ob ein solcher tatsächlich stattgefunden habe oder ob sich die Klägerin diese Realität ebenfalls angelesen habe, vermöge sie nicht zu sagen. Neben weiteren medizinischen Unterlagen zog der Beklagte u.a. den Entlassungsbericht der W.-Klinik, Bad W. (Aufenthalt 12.07. bis 27.07.2000) heran. Dieser schildert im Rahmen der biografischen Anamnese die Angaben der Klägerin, ihr Großvater habe sie im Alter von 7 bis 15 Jahren sexuell traumatisiert. Vor ihrem Vater habe sie ebenfalls Angst gehabt, er habe sie in eine satanische Sekte eingeführt. Weiter wird festgestellt, dass die Klägerin in ihrer Kindheit ritualisiert Gewalt und sexuelle Traumatisierun...