Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungsrecht: Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen. Zeitungswerber als abhängig Beschäftigter. Zulässigkeit eines Summenbescheids

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zeitungswerber in einer Drückerkolonne sind regelmäßig abhängig Beschäftigte.

2. Der Erlass eines Summenbescheides ist keine Ermessensentscheidung.

3. Die Zulässigkeit des Erlasses eines Summenbescheides ist im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 04.04.2018; Aktenzeichen B 12 R 38/17 B)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 08.05.2015 teilweise aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 10.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 insoweit zurückgewiesen, als diese einen Nachforderungsbetrag in Höhe von 267.039,22 €, davon Säumniszuschläge in Höhe von 174.131,00 €, für den Zeitraum vom 01.12.1992 bis einschließlich 31.12.1996 betreffen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens 4/5, der Kläger 1/5. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte 1/10 und der Kläger 9/10.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 283.163,93 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist im Berufungsverfahren ein Nachforderungsbetrag von 283.163,93 EUR, davon Säumniszuschläge in Höhe von 184.639,00 EUR, für den Zeitraum vom 01.12.1992 bis 31.12.1996.

Der Kläger war zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraumes als selbständiger Handelsvertreter gemäß § 84 Handelsgesetzbuch (HGB) im Zeitschriftengewerbe und in der Vermittlung von Telekommunikations- und Stromverträgen für die Firma V. & Co. GmbH (künftig: V) tätig. Die Vermittlung von Abonnements und Verträgen erfolgte durch Haustürwerbung, für die der Kläger - aus seiner Sicht selbständige - Mitarbeiter als "Drückerkolonnen" (so der rechtskräftige Strafbefehl des Amtsgerichts D-Stadt vom 15.04.2004, Aktenzeichen xxx) einsetzte.

Nachdem gegen den Kläger unter Einbeziehung eines Urteils des Landgerichts D-Stadt vom 10.03.2003, Aktenzeichen xxx, wegen seiner Tätigkeit als Chef einer "Drückerkolonne" (vergleiche rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts D-Stadt vom 15.04.2004, Aktenzeichen xxx) in der Zeit von 1992 bis 1996 mit Strafbefehl des Amtsgerichts D-Stadt vom 15.04.2004, Aktenzeichen xxx, eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Monaten auf Bewährung verhängt worden war, führte der Kläger seine Tätigkeit in der Folgezeit fort.

Auf Grund von Ermittlungen des Hauptzollamts C-Stadt - bei denen Unterlagen des Klägers über die Werber für die Zeit ab 1997 beschlagnahmt wurden (insgesamt 17 Ordner) - wurde der Kläger vom Landgericht C-Stadt mit Urteil vom 16.02.2011, Aktenzeichen xxx unter Einbezug der früheren Strafen gemäß §§ 266a Abs. 1 Abs. 2 Nr. 2, 53 Strafgesetzbuch (StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren erneut wegen seiner Tätigkeit als Chef einer "Drückerkolonne" (vergleiche rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts D-Stadt vom 15.04.2004, Aktenzeichen xxx) verurteilt. Nach seiner Haftentlassung ist der Kläger inzwischen wieder als selbständiger Handelsvertreter gemäß § 84 HGB tätig.

Aufgrund der den strafrechtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Ermittlungen leitete die Beklagte mit Anhörungsschreiben vom 07.06.2011, mit dem der Kläger eingehend über die Sach- und Rechtslage unterrichtet wurde, ein Betriebsprüfungsverfahren ein. Der Kläger äußerte sich zum Anhörungsschreiben nicht.

Mit Bescheid vom 10.08.2011 forderte die Beklagte vom Kläger auf Grund ihrer Betriebsprüfung für die Zeit vom 01.12.1992 bis 31.05.2009 eine Nachzahlung in Höhe von 1.528.044,61 EUR, davon 771.664,50 EUR Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 1 SGB IV.

Bei den vom Kläger eingesetzten Werbern habe es sich um Scheinselbständige gehandelt, was auch das Landgericht C-Stadt in seinem Urteil vom 16.02.2011, Az.: xxx, ausgeführt habe. Dies ergebe das Gesamtbild der Verhältnisse, bei dem die relevanten Merkmale gegeneinander abgewogen werden müssten. Die Werber seien in den Betrieb des Klägers eingegliedert und hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit an Weisungen des Klägers gebunden gewesen. Die Werber hätten bestimmte Arbeitszeiten einhalten müssen und seien persönlich vom Kläger abhängig gewesen. Freie Tage und Urlaub hätten mit dem Kläger abgesprochen werden müssen.

Die Werber seien mit einer von der Firma V bezahlten Zugfahrtkarte zu Orten gefahren, an denen sie sich nicht auskannten. Da die Werber in der Regel auch ohne Führerschein und völlig mittellos gewesen seien, seien sie gezwungen gewesen, in den vom Kläger angemieteten Häusern bzw. Ferienwohnungen vor Ort zu übernachten und sich dort verpflegen zu lassen. Dort habe der Kläger bzw. seine Teamleiter die Zimmerbelegung zum Teil bestimmt, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit vorgegeben und über den jeweiligen Einsatzort am Tag entschieden.

An die Werber seien in...

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