Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopferversorgung. Adhäsionsvergleich kein Versagungsgrund nach § 2 OEG. sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit einer Klage auf Feststellung des Primärschadens. isolierte Feststellung eines schädigenden Ereignisses bei möglichen Spätschäden. Elementenfeststellung. Feststellungsinteresse. Ruhen der Leistungen bei Arbeitsunfall. regelmäßige Kenntnis des Täters vom Forderungsübergang nach § 81a BVG iVm § 5 OEG. Regressanspruch der Versorgungsverwaltung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Adhäsionsvergleich (Täter-Opfer-Ausgleich) im Strafverfahren rechtfertigt keine Leistungsversagung nach § 2 Abs 1 S 1 OEG.
2. Zur Zulässigkeit einer Feststellungsklage auf Feststellung des Primärschadens im Opferentschädigungsrecht.
3. Zur Zulässigkeit einer Feststellungsklage auf Feststellung eines schädigenden Ereignisses iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG, wenn das Entstehen von Spätschäden nicht ausgeschlossen ist.
Orientierungssatz
1. Der Bejahung eines hierfür erforderlichen Feststellungsinteresses und dem Ausspruch einer entsprechenden Feststellung steht es nicht entgegen, wenn die Gewalttat als Arbeitsunfall anerkannt worden ist und die Leistungen nach § 1 Abs 1 OEG insoweit nach § 65 BVG ruhen.
2. Mit der Verwirklichung des vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegenüber dem Opfer ist davon auszugehen, dass der Täter ab diesem Zeitpunkt Kenntnis vom Forderungsübergang hat, weil er ab dem Zeitpunkt mit der Möglichkeit, dass dem Opfer aufgrund dieser Tat Leistungen nach dem OEG zu gewähren sein können, rechnen musste (vgl BGH vom 16.10.2007 - IV ZR 227/06 = MDR 2008, 859).
3. Damit ist der Täter, soweit der Forderungsübergang nach § 81a BVG (iVm § 5 OEG) greift, nicht nach §§ 407, 412 BGB von seiner Leistungspflicht frei geworden, sodass er von der Versorgungsverwaltung weiter in Regress genommen werden kann.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 16.06.2015 sowie der Bescheid des Beklagten vom 13.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2015 aufgehoben und festgestellt, dass
1. der Kläger am 23.04.2013 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG geworden ist,
2. der Kläger als Folge dieses vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs vom 23.04.2013 eine traumatische Sehnenruptur der tiefen Beugesehne D IV am Ringfinger der linken Hand erlitten hat und
3. Leistungen nach dem OEG wegen der Gewalttat vom 23.04.2013 nicht nach § 2 Abs. 1 OEGG zu versagen sind.
II. Der Beklagte erstattet dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), die der Beklagte unter Berufung auf die Ausschlusstatbestände nach § 2 Abs. 1 OEG versagt hat.
Der 1958 geborene Kläger stellte bei dem Beklagten im September 2013 einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Dabei machte er geltend, dass er sich am 23.04.2013 gegen 15:15 Uhr vor dem Eingang des Geschäfts M. in D-Stadt in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit als Ladendetektiv eine traumatische Sehnenruptur zugezogen habe, als er den von ihm gestellten Ladendieb D. S. (im Folgenden: Ladendieb), der habe flüchten wollen, am von diesem mitgeführten Rucksack festgehalten habe. Als Nachweis der erlittenen Schädigungsfolge fügte er ärztliche Berichte des MedCenter A-Stadt bei, in denen die Diagnose einer "Traumatischen Sehnenruptur tiefe Beugesehne D IV" (am Ringfinger der linken Hand) gestellt worden ist. Ferner fügte er einen Bericht an die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (C.) bei, wonach er den Unfall auch der zuständigen Berufsgenossenschaft gemeldet hat.
Der Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 09.10.2013 den Eingang des Antrags und machte den Kläger darauf aufmerksam, dass gesetzliche Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger auf den Freistaat Bayern übergingen, soweit der Kläger von der Versorgungsverwaltung wegen des Schadens Leistungen erhalte, die den Schaden ausgleichen sollten. Der Kläger dürfe daher über seine Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger insoweit nicht mehr verfügen, insbesondere keinen Vergleich schließen oder Zahlungen vom Schädiger entgegennehmen, ohne sich vorher mit dem Zentrum Bayern Familie und Soziales - Versorgungsamt (ZBFS) abzustimmen. Falls er dies nicht beachte, müsse er dem ZBFS Ersatz leisten, vor allem aber könnten dann Leistungen versagt werden. Lediglich Ansprüche auf Schmerzensgeld sowie Ansprüche auf Ersatz von Sach- und Vermögensschäden, die nach dem OEG nicht entschädigt würden, dürfe der Kläger selbst gegenüber dem Schädiger geltend machen.
Mit Schreiben vom 12.11.2013 teilte die C. dem Beklagten mit, dass sie den Vorfall vom 23.04.2013 als Arbeitsunfall anerkannt habe.
Arbeitsunfähigkeit habe vom 03.06.2013 bis 03.08.2013 vorgelegen. Die Behandlungsbedürftigkeit habe am 22.08.2013 geendet.
Mit re...