Leitsatz (amtlich)
Je nach Branche und Verhalten eines Arbeitgebers kann vorsatzindizierendes Wissen in Bezug auf die Verhängung von Säumniszuschlägen gegeben sein.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 21. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird festgesetzt auf 121.847,36 Euro.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen durch die Beklagte aufgrund einer Betriebsprüfung iHv 121,847,36 Euro (davon Säumniszuschläge iHv 19.498 Euro).
Die Klägerin bietet Bauleistungen im Bau und Innenausbau an. Der ehemalige und im streitgegenständlichen Zeitraum alleinige Geschäftsführer der Klägerin, Herr JH, betrieb zusätzlich noch die Einzelfirma Bau- und Montagearbeiten JH.
Die Beigeladenen zu 1 bis 5 arbeiteten sowohl für die Klägerin als auch für die Firma JH. Die Beigeladenen zu 1 bis 5 wurden im Hinblick auf ihre Tätigkeit in Deutschland von der Ehefrau des Geschäftsführers in Deutschland umfassend unterstützt. Die Gewerbeanmeldungen der Beigeladenen zu 1 bis 5 als Bauarbeiter, Helfer und Trockenbauer und deren Wohnungsanmeldungen waren identisch und auf zwei Anschriften verteilt. Die Wohnungen waren von der Klägerin vermittelt worden. Die Geschäftsunterlagen der Beigeladenen zu 1 bis 5 waren in den Geschäftsräumen von JH eingelagert. Die Rechnung der Beigeladenen zu 1 bis 5 an die Klägerin fertigte die Ehefrau des Geschäftsführers für diese an. Die Beigeladenen zu 1 bis 5 wurden für ihre Tätigkeiten mit einem Stundenlohn zwischen 10 und 16 Euro vergütet. Während der schweren Erkrankung des Geschäftsführers im streitgegenständlichen Zeitraum führte die Ehefrau des Geschäftsführers die Geschäfte der Klägerin und des Einzelunternehmens JH.
Nachdem das Hauptzollamt (HZA) die Beklagte über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens unterrichtet und sozialversicherungsrechtliche Auswertungen übersandt hatte, fand in der Zeit vom 21.02.2018 bis 18.01.2019 eine Betriebsprüfung durch die Beklagte nach § 28 p Abs 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) iVm § 2 Abs. 2 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) bei der Klägerin für die Zeit vom 01.05.2015 bis 31.05.2017 statt.
Mit Bescheid vom 22.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.06.2019 forderte die Beklagte von der Klägerin Sozialversicherungsbeiträge iHv 121.847,36 Euro einschließlich Säumniszuschläge iHv 19.498,00 Euro für die Zeit vom 01.05.2015 bis 31.05.2017 nach. Eine selbstständige Unternehmertätigkeit der Beigeladenen zu 1 bis 5 liege nicht vor. Eine Gewerbeanmeldung stelle noch kein hinreichendes Indiz für eine selbstständige Tätigkeit dar. Keiner der Beigeladenen habe eigene Arbeitsmittel oder Arbeitsgeräte außer Kleinhandwerkzeugen besessen. Die Anreise zu den Baustellen sei gemeinsam in einem Fahrzeug der Firma HJ oder der Klägerin erfolgt. Die Beigeladenen hätten keine freie Gestaltungsmöglichkeit bezüglich Arbeitszeiten und Arbeitsplatz gehabt. Eine eigene Betriebsstätte sei nicht vorhanden gewesen, die Rechnungen hätten überwiegend Herr JH und Frau H geschrieben, die auch bei der Gewerbeanmeldung geholfen hatten. Der Stundenlohn habe im Übrigen deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn gelegen.
Die hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Landshut mit Gerichtsbescheid vom 21. Dezember 2022 als unbegründet ab. Nach einer umfassenden Gesamtabwägung sei die Beklagte zutreffend zu der Beurteilung gekommen, dass die betroffenen Personen im streitgegenständlichen Zeitraum bei der Klägerin in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis standen. Nicht nachvollziehbar sei die Argumentation der Klägerseite, dass sich das Ermittlungsverfahren des HZA und die Angaben der befragten betroffenen Personen nur auf das Einzelunternehmen JH bezogen und in keinem Zusammenhang mit der Klägerin gestanden hätten. Wie aus dem Schlussbericht des HZA hervorgehe, habe sich das Ermittlungsergebnis auf die Klägerin bezogen. Hiergegen hat die Klägerin Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt.
Die Beklagte habe zwischen den Tätigkeiten der Beigeladenen zu 1 bis 5 für die Firma JH und die Klägerin nicht ausreichend differenziert. Das HZA habe die Befragung nur unklar durchgeführt. JH sei als Geschäftsführer der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum schwer erkrankt gewesen und habe seine Geschäftsführertätigkeit daher in dieser Zeit nicht ausüben können.
Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 21. Dezember 2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.2019 aufzuheben.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Der Geschäftsführer der Klägerin sei inzwischen auch strafrechtlich belangt worden wegen vorsätzlichen Vorenthaltens v...