Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufskrankheit. Bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Belastungstypisches Schadensbild
Leitsatz (redaktionell)
Der Senat hält daran fest, dass ein belastungstypisches Schadensbild (lokale Korrelation des Schadensbildes mit beruflichen Einwirkungen) vorliegen muss, das spezifisch auf eine durch erhöhte Beanspruchung verursachte bandscheibenbedingte Erkrankung hinweist.
Ein Ursachenzusammenhang zwischen Hebe- und Tragebelastungen und Belastungen durch Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung und einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS kann nur dann mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden, wenn in diesem Wirbelsäulensegment von oben nach unten zunehmende Verschleißerscheinungen festzustellen sind, wenn die degenerativen Veränderungen im Bereich der LWS das altersübliche Maß überschreiten und wenn sie den Verschleißerscheinungen in den anderen Wirbelsäulenabschnitten, und zwar insbesondere im Bereich der Halswirbelsäule, vorauseilen.
Ein für eine Berufskrankheit nach Ziff. 2108 der Anlage zur BKV atypisches Schadensbild liegt vor, wenn zwar das dritte und auch das fünfte, nicht jedoch das vierte Bewegungssegment der LWS betroffen sind.
Normenkette
Anlage BKV Nr. 2108
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. August 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Ziff. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Die 1964 geborene Klägerin war ab 1981 als Stationshilfe und - mit Unterbrechungen - seit 1. April 1982 als Krankenschwester tätig, zuletzt seit 1. Juni 1998 als Dauernachtwache in den H. Heimen in dem Bereich "Förderzentrum für körperlich und geistig schwerst Behinderte". Vollschichtig war sie als Krankenschwester bis einschließlich 1992 tätig. Ab 1994 arbeitete sie ausschließlich in Nachtschicht. Am 10. September 2004 ging die ärztliche Anzeige der Allgemeinärzte W./Dr. H., bei denen die Klägerin seit 28. Juli 2004 in Behandlung war, bei Verdacht auf eine Berufskrankheit ein. Es liege ein Bandscheibenvorfall L 3/4 und L 4/5 vor, der auf schweres Heben und Zwangshaltung zurückzuführen sei. Die Beklagte holte Krankheitsberichte der behandelnden Ärzte ein; die Dres. E. berichteten über die ärztliche Behandlung von Beschwerden in der Halswirbelsäule (HWS) seit 21. Mai 2001 und der Lendenwirbelsäule (LWS) seit 8. Februar 2002. Dr. A. gab eine Behandlung seit 24. Januar 2003 wegen Blockade der Brustwirbelkörper an. Ein Computertomogramm (CT) der LWS vom 30. Juli 2004 zeigte einen großen links-lateralen Bandscheibenvorfall bei L 3/4, der den Nervenaustrittskanal verlegte. Am 6. August 2004 ist in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. eine Sequestrotomie L 3/4 links vorgenommen worden. Bei dem Orthopäden Dr. B. war die Klägerin seit 8. Oktober 2003 wegen Schmerzen im HWS- und Brustwirbelsäulen-(BWS-)Bereich in Behandlung. Die Beklagte zog den Bericht der Klinik sowie den Entlassungsbericht der Fachklinik E. über einen stationären Rehabilitationsaufenthalt vom 13. August bis 4. September 2004 bei, aus der die Klägerin arbeitsunfähig entlassen wurde.
Die Beklagte holte Auskünfte der früheren Arbeitgeber der Klägerin ein. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten wertete die Angaben aus und berechnete in einer Stellungnahme vom 20. Dezember 2004 die Gesamtdosis beruflicher Wirbelsäulenbelastungen nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) auf 10,754 MNh; dies entspreche 63 % des Richtwertes der Lebensdosis für Frauen von 17 MNh. Die letzte, tatsächlich belastende Tätigkeit sei erst seit 1. Juni 1998 ausgeübt worden. Die Bandscheibenerkrankung sei bereits nach sechs Jahren aufgetreten.
Ferner holte die Beklagte ein Gutachten des Orthopäden Dr. L. vom 27. Januar 2005 ein. Es bestünden restliche Nervenreizerscheinungen nach operiertem Bandscheibenvorfall mit Wurzelkompression L3/4 links nach Bandscheibenvorfall L3/4 links. Es müsse von einer anlagemäßigen Krankheitsbereitschaft des äußeren Faserringes der Bandscheibe L3/4 ausgegangen werden, die im Rahmen der Arbeitsbelastung zur Rissbildung und damit zum Durchtritt von Bandscheibengewebe geführt habe. Dieser Geschehensablauf sei "eher als körpereigene Verletzung" anzusehen. Die berufliche Belastung sei nur der Auslöser, nicht aber die wesentliche Ursache für den Gesundheitsschaden. Es sei aber zukünftig bei Weiterarbeit mit dem Entstehen einer Berufskrankheit zu rechnen. Der Gewerbearzt schloss sich in einer Stellungnahme vom 24. Februar 2005 dieser Einschätzung an.
Der Facharzt für Arbeitsmedizin Dr. N. wies im Rahmen der Qualitätssicherung bei der Begutachtung der Berufskrankheit nach Ziff. 2108 der Anlage zur BKV in einer Stellungnahme vom 18. Juli 2005 darauf hin, dass die beiden benachbarten Bandscheiben nicht degenerativ verändert seien. Es sei lediglich die unterste Bandscheibe minimal mit einer Protrusion degenerati...