Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG München vom 13.5.2024 - L 20 KR 509/22 , das vollständig dokumentiert ist.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.04.2023 aufgehoben und die Sache an das Sozialgericht Nürnberg zurückverwiesen.
II. Das Sozialgericht hat auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung und hierbei insbesondere um die Frage, ob die Klägerin den OPS-Code 8-550.1 (Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung: Mindestens 14 Behandlungstage und 20 Therapieeinheiten) abrechnen durfte.
Die Klägerin ist Trägerin eines zur Behandlung gesetzlich Versicherter zugelassenen Krankenhauses (§ 108 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V -), in dem vom 08.06.2020 bis zum 26.06.2020 die bei der Beklagten Versicherte G (Versicherte) behandelt wurde.
Für den stationären Aufenthalt berechnete die Klägerin der Beklagten unter Zugrundelegung insbesondere der DRG I34Z (Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung mit bestimmter OR-Prozedur bei Krankheiten und Störungen an Muskel-Skelett-System und Bindegewebe) insgesamt 13.082,47 € (Rechnung vom 19.05.2020).
Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst, rechnete am 12.05.2021 jedoch nach Einschaltung des MD (Gutachten vom 07.05.2021) iHv 2.735,34 € mit unstreitigen Forderungen der Klägerin per Zahlungsavis aus anderen Behandlungen auf, da die Verweildauer um vier Belegungstage zu kürzen sei und damit eine Ersetzung des OPS-Codes 8-550.1 in den OPS-Code 8-550.0 (Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung: Mindestens 7 Behandlungstage und 10 Therapieeinheiten) einhergehe.
Trotz des deswegen erhobenen Widerspruchs der Klägerin mit Schreiben vom 26.04.2022 blieb die Beklagte bei ihrer Entscheidung (Schreiben vom 13.05.2022).
Am 20.07.2022 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Aufrechnung sei unwirksam, da ein Verstoß gegen§ 109 Abs. 6 SGB V vorliege. Hilfsweise hat sie darauf hingewiesen, die Verweildauerreduzierung sei medizinisch unmöglich. Insbesondere unter Berücksichtigung der sehr langsamen Wundheilung mit Sekretion, des komplizierten Verlaufs mit Bluthochdruck, Tachyarrhythmie und deutlich erschwerter Mobilisierung sei die Verweildauer medizinisch bis zum Entlasstag indiziert gewesen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die vorgenommene Aufrechnung sei wirksam. Maßgeblich sei die Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) 2.0 in Verbindung mit der Ergänzungsvereinbarung. Die dort in § 10 Satz 1 PrüfvV 2.0 geregelten Voraussetzungen für eine Aufrechnung lägen vor. Die Beklagte hat zur weiteren Klageerwiderung zum medizinischen Sachverhalt Einsicht in die Patientenakte beantragt.
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 18.04.2023 vollumfänglich stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin einen weiteren Betrag iHv 2.735,34 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 13.05.2021 zu zahlen. Einer ordnungsgemäßen Aufrechnung stehe ganz offensichtlich das mit Wirkung zum 01.01.2020 normierte gesetzliche Aufrechnungsverbot in§ 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V entgegen. Ferner könne sich die Beklagte nicht auf eine zulässige vertragliche Ausnahme berufen (§ 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V ). Zwar hätten der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) in der am 10.12.2019 beschlossenen Übergangsvereinbarung zur PrüfvV die Weitergeltung der Regelungen zur Korrektur von Datensätzen sowie die Aufrechnungsregelungen vereinbart. Diese vertragliche Regelung sei jedoch nicht von der vorgesehenen Ausnahmemöglichkeit in§ 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V gedeckt, denn die einschränkungslose Zulassung der Aufrechnung stelle gerade nicht nur ein harmlose in einem konkreten Ausnahmefall abweichende Regelung dar, sondern durch den weiten Anwendungsbereich werde das gesetzliche Aufrechnungsverbot grundlegend konterkariert. Überdies könne der vorliegende Aufrechnungsfall nicht von§ 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V umfasst sein, denn danach könnten abweichende Reglungen nur in Vereinbarungen nach § 17c Abs. 2 Satz 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) vorgesehen werden. § 17c Abs. 2 Satz 1 KHG sei jedoch nur die Ermächtigungsgrundlage zur näheren Ausgestaltung des MD-Prüfverfahrens. Der hier streitgegenständliche Vergütungsanspruch, gegen den die Beklagte mit dem behaupteten Rückerstattungsanspruch versucht habe aufzurechnen, sei jedoch nicht Gegenstand eines Prüfverfahrens gewesen.
Gegen das ihr am 08.06.2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22.06.2023 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, soweit die Klägerin behaupte, eine Aufrechnung mit Erstattungsforderungen sei nur gegen solche unstrei...