Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Zurückverweisung an das Sozialgericht. Aufrechnung der gesetzlichen Krankenversicherung mit einem Krankenhausträger
Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG München vom 13.5.2024 - L 20 KR 509/22 , das vollständig dokumentiert ist.
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Landessozialgericht kann durch Urteil eine erstinstanzliche Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.
2. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen waren berechtigt, das seit dem 01.01.2020 geltende Aufrechnungsverbot bis zur Neuregelung einer Prüfverfahrensvereinbarung durch kollektivvertragliche Regelung auszusetzen.
Normenkette
SGB V §§ 39, 108 Nr. 2, § 109 Abs. 6 Sätze 1-3, § 275c Abs. 1 S. 1; KHG § 17 Abs. 2 Sätze 5-6, § 17c Abs. 2 Sätze 1, 2 Nr. 7, Sätze 5-6, Abs. 2a S. 1, Abs. 2b Sätze 1, 2 Nr. 8, § 18a Abs. 6; SGB I § 51; BGB § 387; SGG § 131 Abs. 5, § 159 Abs. 1 Nr. 1; VwGO § 130 Abs. 2 Nr. 2
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.04.2023 aufgehoben und die Sache an das Sozialgericht Nürnberg zurückverwiesen.
II. Das Sozialgericht hat auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung und hierbei insbesondere um die Frage, ob die Klägerin den OPS 9-696.31 (2 Einzeltherapieeinheiten pro Woche durch Psychologen bei Kindern und Jugendlichen) und den OPS 9-696.11 (2 Einzeltherapieeinheiten pro Woche durch Ärzte bei Kindern und Jugendlichen) abrechnen durfte.
Die Klägerin ist Trägerin eines zur Behandlung gesetzlich Versicherter zugelassenen Krankenhauses ( § 108 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch- SGB V -), in dem vom 20.10.2020 bis zum 03.12.2020 die bei der Beklagten Versicherte S (Versicherte) behandelt wurde.
Für den stationären Aufenthalt berechnete die Klägerin der Beklagten unter Zugrundelegung des pauschalierenden Entgelts für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) PK04A (Affektive, neurotische, Belastungs-, somatoforme und Schlafstörungen mit komplizierender Konstellation oder mit erhöhtem Betreuungsaufwand oder mit hoher Therapieintensität oder mit Intensivbehandlung) insgesamt 24.100,04 € (Rechnung vom 22.12.2020). Dabei kodierte sie ua den OPS 9-696.31 (2 Einzeltherapieeinheiten pro Woche durch Psychologen bei Kindern und Jugendlichen) und OPS 9-696.11 (2 Einzeltherapieeinheiten pro Woche durch Ärzte bei Kindern und Jugendlichen).
Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst, rechnete am 09.07.2021 jedoch nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes (MD) (Gutachten vom 29.06.2021) iHv 2.088,18 € mit unstreitigen Forderungen der Klägerin per Zahlungsavis aus anderen unstreitigen Behandlungen auf, da die Anzahl der Therapiestunden nicht wie abgerechnet dokumentiert sei und die OPS 9-696.31 und OPS 9-696.11 nicht bestätigt werden könnten.
Am 23.12.2022 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, sie habe die für die Abrechnung der im Streit stehenden OPS erforderlichen Therapieeinheiten erbracht. Zum Nachweis legte sie ua eine Verlaufsdokumentation vor.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat zur Begründung ausgeführt, dem MD sei zuzustimmen. Das durchgeführte psychologische Aufnahmegespräch am Aufnahmetag sei nicht als Therapiegespräch im Sinnen der kodierten Prozedur zu werten. Mithin fehle es an den für die Abrechnung zwingend erforderlichen zwei Therapieeinheiten.
Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 18.04.2023 verurteilt, an die Klägerin einen weiteren Betrag iHv 2.088,18 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 14.07.2021 zu zahlen. Einer ordnungsgemäßen Aufrechnung stehe das mit Wirkung zum 01.01.2020 normierte gesetzliche Aufrechnungsverbot in § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V entgegen. Die Beklagte könne sich auch nicht auf eine zulässige vertragliche Ausnahme nach § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V berufen. Zwar hätten der Spitzenverband Bund der Krankenkasse (GKV-Spitzenverband) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) in der am 10.12.2019 beschlossenen Übergangsvereinbarung zur Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) die Weitergeltung der Aufrechnungsregelungen vereinbart. Diese vertragliche Regelung sei jedoch nicht von der vorgesehenen Ausnahmemöglichkeit in § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V gedeckt, denn die einschränkungslose Zulassung der Aufrechnung konterkariere das gesetzliche Aufrechnungsverbot grundlegend und lasse die Regelung ins Leere laufen. Überdies könne der vorliegende Aufrechnungsfall nicht von § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V umfasst sein, denn danach könnten abweichende Reglungen nur in Vereinbarungen nach § 17c Abs. 2 Satz 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) vorgesehen werden. § 17c Abs. 2 Satz 1 KHG sei jedoch ...