Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsstreit um Vorverfahrenskosten. Gebührengutachten. Anwendbarkeit des § 14 Abs 3 RVG
Leitsatz (amtlich)
§ 14 Abs 3 RVG ist nur im Rechtsstreit zwischen Mandant und Auftraggeber anwendbar, nicht jedoch im Rechtsstreit zwischen einer nach § 63 SGB X erstattungspflichtigen Behörde und dem Gebührenschuldner.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 06.02.2023 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welcher Höhe der Beklagte und Berufungsbeklagte (nachfolgend: Beklagter) dem Kläger und Berufungskläger (nachfolgend: Kläger) Aufwendungen des Vorverfahrens in Form von Gebühren und Auslagen seines Prozessbevollmächtigten zu erstatten hat (hier in Form der Freistellung).
Bei dem 1971 geborenen Kläger waren zuletzt ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 und die Merkzeichen "G", "B" und "aG" zuerkannt (bestandskräftiger Bescheid vom 22.03.2012). In der Folgezeit übersandte der Kläger dem Beklagten jeweils die aktuellen Bescheide über die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch (SGB XII) zum Nachweis für einen Anspruch auf eine Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personenverkehr.
Mit Schreiben vom 26.06.2021 beantragte der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, bei dem Beklagten zusätzlich die Zuerkennung des Merkzeichens "H". Zugleich wurde Akteneinsicht beantragt, die am 01.07.2021 gewährt wurde. Mit Schreiben vom 28.06.2021 übersandte der Prozessbevollmächtigte des Klägers für diesen ein Passfoto und ein ausgefülltes Antragsformular an den Beklagten. Hierin wurde u.a. angeben, dass dem Kläger Pflegeleistungen mit einem Pflegegrad 3 bewilligt worden seien. Mit Schreiben vom 07.07.2021 übersandte er zudem unter Verweis auf ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 30.01.2019 ( L 17 SB 149/17) einen Schmerz- und Anfallskalender des Klägers.
Der Beklage bat die zuständige Pflegekasse des Klägers (AOK Bayern) um Übersendung des Pflegegutachtens. Diese teilte mit Schreiben vom 12.08.2021 mit, dass kein Gutachten existiere. Am 04.10.2021 informierte sie den Beklagten telefonisch darüber, dass kein Pflegegrad in Bezug auf den Kläger festgestellt sei. Weiterhin holte der Beklagte insbesondere Befundberichte der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie K vom 15.10.2021, der Fachärztin für Allgemeinmedizin H vom 09.11.2021 sowie eine versorgungsmedizinische Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie S vom 24.11.2021 ein. In Letzterer wird u.a. ausgeführt, dass der Kläger zwar sicher hilfebedürftig, aber nicht hilflos sei. Dies sei auch daran erkennbar, dass er im Krankenhaus neben einem tatsächlich Hilflosen gelegen habe, dessen Zustand er nicht habe ertragen können, sodass er sich selbst entlassen habe. Daraus sei erkennbar, dass er in einem noch deutlich besseren Zustand sei und sich noch besser selbst versorgen könne. Sodann lehnte der Beklagte den Änderungsantrag des Klägers ab (Bescheid vom 30.11.2021). Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass grundsätzlich erst ab dem Pflegegrad 3 eine Hilflosigkeit angenommen werden könne, hier jedoch überhaupt kein Pflegegrad festgestellt sei.
Hiergegen erhob der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, mit Schreiben vom 05.12.2021 Widerspruch. Zudem beantragte er erneut Akteneinsicht, die am 08.12.2021 gewährt wurde. Mit zwei Schreiben vom 21.12.2021 begründete der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Widerspruch. Er führte insbesondere aus, dass der Bescheid aus Sachgründen insbesondere wegen fehlerhafter Amtsermittlung nach § 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) rechtswidrig sei. Seit Jahren sei der Pflegegrad 3 festgestellt. Vor etwa zwei Monaten habe die Gutachterin des Medizinischen Dienstes sogar mitgeteilt, dass die Voraussetzungen für den Pflegegrad 4 vorlägen, ein Bescheid sei jedoch noch nicht erlassen worden. Auch wenn die Pflegekasse das Vorliegen eines Pflegegrades zu Unrecht verneint habe, sei es im Hinblick auf die explizite Angabe im Antragsformular erforderlich gewesen, dass der Beklagte weiter ermittle und z.B. den Kläger oder den Sozialhilfeträger um Auskunft ersuche. Der Bevollmächtigte des Klägers habe nunmehr auf seinen Mandanten, den Kläger, besonders eingewirkt, um die "Lücke der Amtsermittlung" zu schließen. Im Hinblick auf die Selbstentlassung aus dem Krankenhaus führte er sinngemäß aus, dass dies nicht Ausdruck einer mangelnden Hilflosigkeit, sondern durch die unzumutbaren Umstände geboten gewesen sei. Im Weiteren führte er aus, weshalb aus seiner Sicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "H" erfüllt seien. Wegen der weiteren Begründung wird gem. § 153 Abs. 1 i.V.m. § 136 Abs. 2 Satz ...