Entscheidungsstichwort (Thema)
Cannabisblüten. unbefristete Genehmigung. Teilrechtswidrigkeit. alternative Therapiemöglichkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Klageziel ist nicht die Versorgung mit bestimmten Cannabisblättern bzw. eine Kostenübernahme, sondern die Erteilung einer Genehmigung nach § 31 Abs. 6 SGB V.
2. Zur statthaften Klageart.
3. Eine Befristung der Genehmigung nach § 31 Abs. 6 SGB V ist grundsätzlich nicht zulässig. Hieraus ergibt sich eine Teilrechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Aus der Teilrechtswidrigkeit ergibt sich nicht, dass der Verwaltungsakt ohne Weiteres als unbefristeter Verwaltungsakt anzusehen ist.
4. Vorliegend zu den Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 SGB V, insb. zu noch möglichen alternativen Therapien.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. Juni 2021 aufgehoben und die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 8. Juni 2018 und 26. September 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2018 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger und Berufungsbeklagte begehrt die Versorgung mit Cannabisblüten (Bedrocan bzw. Pedanios) durch die Beklagte und Berufungsklägerin über den 31.12.2018 hinaus.
Der 1962 geborene Kläger leidet an einer kompletten Paraplegie mit Spastik der quergestreiften Skelettmuskulatur und chronischen Schmerzen im Sinne von Deafferenzierungsschmerzen nach einem privaten Motocross-Unfall im Jahr 2011. Er beantragte erstmals im August 2017 bei der Beklagten unter Vorlage eines Attestes der Berufsausübungsgemeinschaft S Dres. R u.a. die Versorgung mit Cannabispräparaten in Form von Bedrocan-Blüten. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK, jetzt Medizinischer Dienst - MD) vom 20.09.2017 ein, der zu dem Ergebnis gelangte, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung erfüllt seien. Die Beklagte genehmigte mit Bescheid vom 27.09.2017 den Antrag auf Versorgung mit dem Arzneimittel Bedrocan für zunächst sechs Monate. Aufgrund von diesbezüglichen Lieferschwierigkeiten genehmigte die Beklagte mit Bescheid vom 19.10.2017 auf Antrag wiederum auf sechs Monate befristet den Bezug von Cannabisblüten der Sorte Pedanios 22/1.
Am 27.04.2018 ging bei der Beklagten ein Folgeantrag des Klägers über die Berufsausübungsgemeinschaft S, Dres. B1 und Kollegen, mit ausgefülltem Arztfragebogen auf Versorgung mit Cannabis gemäß § 31 Abs. 6 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) vom 19.04.2018 ein. Mit Schreiben vom selben Tag teilte die Beklagte mit, dass der Antrag eingegangen und beim MDK ein Gutachten beauftragt worden sei. Mit Schreiben vom 29.05.2018 teilte die Beklagte mit, dass die bei Einschaltung des MDK gesetzlich vorgesehene 5-Wochen-Frist nicht eingehalten werden könne und dass bis spätestens 15.06.2018 eine Entscheidung ergehe. Als Grund für die Verzögerung wurde dargelegt, dass das beantragte Gutachten des MDK noch nicht vorliege.
Die Beklagte bestätigte mit Bescheid vom 08.06.2018 dem Kläger, dass dieser vom 08.06.2018 bis vorerst 31.07.2018 berechtigt sei, zur Behandlung das Arzneimittel auf Cannabis-Basis (wahlweise Bedrocan oder Pedanios) zu Lasten der Beklagten verordnet zu erhalten. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass die Genehmigung "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" erfolge. Das Schreiben enthielt weiter die Mitteilung, dass die Versorgung über den 31.07.2018 derzeit noch geprüft werde. Das Schreiben enthielt keine Rechtsmittelbelehrung. Der Kläger legte durch seine damalige Prozessbevollmächtigte am 08.08.2018 Widerspruch ein; er wandte sich gegen die erneute Befristung.
Mit Bescheid vom 26.09.2018 erfolgte eine weitere befristete Genehmigung bis 31.12.2018, erneut mit dem Zusatz "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht"; enthalten war ebenfalls wieder der Hinweis, dass die Versorgung über den 31.12.2018 noch geprüft werde. Auch hiergegen legte die Prozessbevollmächtigte des Klägers Widerspruch ein und wandte sich dabei zum einen gegen die neuerliche Befristung (sowie die Beschränkung auf zwei Sorten).
Am 22.10.2018 erstellte der MDK das Gutachten nach Aktenlage. Als Diagnosen bestünden beim Kläger eine spastische Paraparese und Paraplegie sowie als weitere Diagnosen ein chronischer Schmerz und ein Zustand nach lumbaler Bandscheiben-Operation vom 13.02.2018. Es liege eine schwerwiegende Erkrankung vor, da die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt sei. Es sei aber bei der Spastik und den Schmerzen (neuropathischen Schmerzen; Deafferenzierungsschmerz) und nach der lumbalen Bandscheiben-OP nicht nachvollziehbar, dass keine anderweitigen Therapien versucht worden seien. So sei zum einen kein Behandlungsversuch mit Gabapentin unternommen worden, was sich aus dem Abschlussbericht der Unfallklinik M vom 22.02.2018 ergebe. Zum anderen komme eine multimodale Therapie in Form einer neurologischen Rehabilitation und eine multimodale Schmerzther...