Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Impfschaden. Nachweis der Impfkomplikation als Primärschaden. Vollbeweis. keine Beweiserleichterung durch einaktige Gesamtbetrachtung. ursächlicher Zusammenhang. keine Anwendung eines WHO-Algorithmus

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die gesundheitliche Schädigung als Primärschädigung, dh die Impfkomplikation, muss neben der Impfung und dem Impfschaden, dh der dauerhaften gesundheitlichen Schädigung, im Vollbeweis, dh mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein.

2. Eine Beweiserleichterung beim Primärschaden iS der Beurteilung "des Zusammenhangs zwischen Impfung und manifestiertem Gesundheitsschaden in einer einzigen gedanklichen Etappe" anhand von "Mosaiksteinen" ist damit nicht vereinbar.

 

Orientierungssatz

Für die Verwendung eines "WHO-Algorithmus" zur Eingrenzung der Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen Primärschädigung und Impfschaden ist im Hinblick auf die gesetzlichen und höchstrichterlich manifestierten Vorgaben des deutschen Versorgungsrechts kein Raum.

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 31. Mai 2017 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger gegenüber dem Beklagten Anspruch auf Anerkennung eines Impfschadens und auf Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) aufgrund durchgeführter Impfungen, vornehmlich einer Impfung vom 04.03.2010 bezüglich Mumps-Masern-Röteln sowie Varizellen (MMRV-Impfung) (Impfstoff: Priorix-Tetra), hat.

Der Kläger und Berufungskläger (Kläger) ist 2008 geboren. Bei ihm bestehen Entwicklungsstörungen und ein Frühkindlicher Autismus Kanner. Es sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie die Merkzeichen G, B und H anerkannt.

Am 14.11.2013 beantragten die Eltern des Klägers gegenüber dem Beklagten und Berufungsbeklagten (Beklagter) die Gewährung von Versorgung nach dem IfSG. Am 04.03.2010 sei von der Kinderärztin Dr. F. eine MMRV-Impfung durchgeführt worden. Als relevante Gesundheitsstörungen des Klägers wurden in dem Antrag "Entwicklungsstörung, Verdacht auf frühkindlichen Autismus, Verhaltensauffälligkeiten und keine Sprachentwicklung" vorgetragen. Dem Antrag waren das Impfheft sowie zahlreiche medizinische Unterlagen über den Kläger beigefügt. Ebenfalls beigefügt war ein humangenetisches Gutachten vom 17.12.2012 (Dr. W.).

Der Beklagte nahm ergänzend Kopien aus der Schwerbehindertenakte des Klägers zum Vorgang und holte weitere medizinische Erkundigungen über den Kläger ein. Des Weiteren bat der Beklagte die Eltern des Klägers um konkrete Darstellung der gesundheitlichen Reaktionen des Klägers unmittelbar nach der Impfung am 04.03.2010 sowie der Dauer dieser Reaktionen. Die Mutter des Klägers gab darauf mit Schreiben vom 06.12.2013 an, dass der Kläger bis ca. Frühling/Sommer 2009 fröhlich gebrabbelt habe, solange er sich noch im Rahmen altersgemäß entwickelt gehabt habe. Wenige Tage nach der Impfung habe er angefangen schrill zu schreien, er habe sich durch nichts beruhigen lassen. Der Kläger habe abends im Bett stundenlang geschrien. Die Kinderärztin habe am 26.03.2010 "Dentinationsbeschwerden" festgestellt, obwohl der Kläger zu dieser Zeit gar keine Zähne bekommen habe und das Zahnen davon abgesehen noch nie Probleme bereitet habe. In den Wochen nach der MMR-Auffrischungsimpfung habe sich der Kläger stark verändert. Aus dem (zwar seit der Impfung im Januar 2009 bereits entwicklungsverzögerten) fröhlichen Kind sei ein ernster Junge geworden, der durch seine Eltern hindurchgesehen und kein Spielverhalten mehr gezeigt habe. Die Physiotherapeutin des Klägers, die viel Erfahrung mit entwicklungsgestörten Kindern besitze, habe nie etwas davon gesagt, dass der Kläger sich auffällig verhalten würde. Die bei ihr durchgeführte Therapie sei im Zeitraum von ca. 10/2009 bis 12/2009 wegen fehlendem Sitzen, Krabbeln und Laufen in wöchentlichen Terminen abgelaufen, danach bis 04/2010 nur noch ca. einmal im Monat. Die Therapeutin habe die Eltern erst am 22.04.2010 beim letzten Termin darauf angesprochen, dass beim Kläger sich in den letzten Wochen offensichtlich "was in die falsche Richtung entwickelt" habe. Der Kläger zeige plötzlich eindeutig autistische Verhaltensweisen, die die Eltern dringend genauer abklären lassen sollten. Besonders auffällig sei die Veränderung im Mai 2010 während eines Urlaubes geworden. Der Kläger habe mit Spielsachen nichts mehr anfangen können und sei immer mehr abgetaucht. Die Sprachentwicklung, die aufgrund der ohnehin schon vorliegenden Entwicklungsverzögerung durch die vorangegangenen Impfungen vorher schon sehr zögerlich stattgefunden habe, sei total stagniert. Bei der U7 am 08.09.2010 habe die neue Kinderärztin dann festgestellt, dass der Kläger weder eine altersgemäße Sprache noch ein altersgemäßes Sprachverständnis entwickelt habe. Er habe nicht Treppensteigen können, erst kurz zuvor laufen gelernt und Verhaltensauf...

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