Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenhaus. Notfallambulanz. Vergütung. Notfallbehandlung. Vorliegen eines Notfalls. Erbringung. Ganzkörperstatus. Berechtigung einer Kassenärztlichen Vereinigung zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Notfall liegt nur so lange vor, solange eine dringende Behandlungsbedürftigkeit besteht und ein Teilnahmeberechtigter mangels Umfang des Teilnahmerechts oder Qualifikation oder eigener Bereitschaft zur Behandlungsübernahme nicht rechtzeitig zur Verfügung steht. Dringende Behandlungsbedürftigkeit besteht, wenn aus einer ex-ante-Betrachtung heraus, ohne sofortige Behandlung Gefahren für Leib und Leben bestehen oder Schmerzen unzumutbar lange dauern würden.

2. Soweit die Erbringung eines Ganzkörperstatus erforderlich ist, um bis zur voraussichtlichen Weiterbehandlung durch zugelassene Vertragsärzte (außerhalb des Bereitschaftsdienstes) oder bis zu einer notwendigen stationären Einweisung akute Gefahren für den die Notfallambulanz aufsuchenden Versicherten zu erkennen, zu behandeln oder auszuschließen, darf und muss dieser auch von den Ärzten der Ambulanz der Klägerin erbracht werden.

 

Orientierungssatz

Einer Kassenärztlichen Vereinigung kommt die Befugnis zu, Honorarabrechnungen sachlich und rechnerisch richtig zu stellen. Dagegen ist sie nicht berechtigt, Leistungen wegen Unwirtschaftlichkeit von der Vergütung auszunehmen.

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts München vom 19. Oktober 2005 der Honorarbescheid zu Quartal 1/2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2003 insoweit aufgehoben, als die Ziffer 60 EBM-Ä in den zwei Behandlungsfällen G.R. und M.H. richtiggestellt worden ist. Die Beklagte wird insoweit zur Berücksichtigung der Leistung bei der Honorarverteilung verpflichtet.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Kosten beider Rechtszüge haben die Klägerin zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5 zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig die Rechtmäßigkeit der Richtigstellung der Nr. 60 EBM-Ä, die im Rahmen der Behandlung von Notfällen angesetzt worden war.

Die Klägerin betreibt das Krankenhaus M. und darin auf der Grundlage eines mit der Beklagten geschlossenen Notfallbehandlungsvertrages eine Notfallambulanz. Die dort behandelten Notfälle werden nach den Angaben der Beteiligten nicht pauschal, sondern leistungsbezogen entsprechend den vertragsärztlichen Gebührenordnungen über die KVB abgerechnet.

Mit unselbständigem Richtigstellungsbescheid als Bestandteil des Honorarbescheids des Quartals 1/03 setzte die Beklagte bei 680 Patienten der Regional- und Ersatzkassen die Ziffer 60 EBMÄ mit der Begründung ab, die Ziffer könne im Rahmen einer Notfallbehandlung bzw. im Rahmen des Notfalldienstes nicht angesetzt werden. Im Widerspruchsverfahren trug die Klägerin vor, die Ziffer nur bei einem geringen Teil der behandelten Patienten erbracht und abgerechnet zu haben. Sie werde nicht bei gängigen Krankheitsbildern, sondern bei unklaren Krankheitsbildern erbracht, bei denen es notwendig sei, den Ganzkörperstatus zu erheben. Entsprechende Dokumentationen lägen vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 2003 wurde der Widerspruch insgesamt zurückgewiesen. Im Rahmen der Notfallbehandlung und des Notfalldienstes habe der Arzt diejenigen Leistungen zu erbringen, die erforderlich seien, um eine akute Gefahr von Leib und Seele des Patienten abzuwenden. Im diesem Sinne übernehme der den Notfall versorgende Arzt die Erstversorgung und habe die Weiterbehandlung dem ständig behandelnden Arzt zu überlassen. Die Leistung nach Nr. 60 EBMÄ könne deshalb im Notfalldienst nur in ganz besonderen Ausnahmefällen, z.B. bei Kindern bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr, vollständig erbracht und abgerechnet werden.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben. Hingewiesen wird darauf, dass es nicht nur Pflicht des Notfallarztes sei, die Symptome des Patienten diagnostisch zu bewerten. Vielmehr habe er in der Regel nach ersten Schlussfolgerungen auch die hierfür erforderlichen Befunde zu erheben. Auch der Notfallarzt, der zu einem bisher unbekannten Patienten gerufen werde, habe die notwendigen körperlichen Untersuchungen vorzunehmen, um einer akuten Gefährdung entgegenzutreten.

Ferner hat sie vorgetragen, dass eine Auswertung des Quartals 2/02 die Abrechnung von 5800 Notfällen ergeben habe, wobei nur in 830 Fällen die Nr.60 angesetzt und berichtigt worden sei. Die Kammer hat die Vorlage (eines Teils) der Dokumentationen zu den Behandlungsfällen angeordnet. Im Termin am 19.10.2005 sind die Beteiligten übereingekommen, dass die Klägerin zehn Fälle als Musterfälle auswählt. Die weiteren Behandlungsfälle sind unter Abtrennung zum Ruhen gebracht worden.

Mit Urteil vom 19.10.2005 hat das Sozialgericht die Klage bezüglich der 10 ausgewählten Einzelfälle abgewiesen. Nach Einsichtnahme in die Behandlungsausweise und die vorgelegten Dokum...

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