Leitsatz (amtlich)
1. Der Ausschluss eines Vertragsabschlusses mit nahen Angehörigkeiten als Pflegekräften und die damit verbundene unterschiedliche Höhe des Pflegegeldes sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Zur Frage der Geltung von Grundrechten im Verhältnis zwischen Versichertem und privater Pflegekasse.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. April 2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Zahlung eines Betrages von 2.635,09 EUR an die Klägerinnen als Erben je zur Hälfte des Verstorbenen V. A..
Der 1924 geborene und 2008 verstorbene Versicherte der Beklagten, V. A., bezog ab 1. Juni 2006 Pflegegeld nach der Pflegestufe I; er wurde zuhause von den Klägerinnen, die die Ehefrau und die Tochter des Verstorbenen sind, gepflegt. Herr A. war bei der Beklagten privat pflegeversichert. Am 19. Dezember 2007 beantragte er eine Höherstufung.
Die Beklagte holte ein Gutachten der M. GmbH vom 16. Januar 2008 ein, die als pflegebegründende Diagnose insbesondere eine schwere Polyneuropathie, einen Diabetes mellitus Typ 2, einen allgemeinen mentalen und körperlichen Abbau bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung, ein Blasenkarzinom und Wirbelsäulenbeschwerden feststellte. Den zeitlichen Hilfebedarf in der Grundpflege ermittelte sie mit 202 Minuten und im Bereich der Hauswirtschaft von 60 Minuten. Danach lägen die Voraussetzungen der Pflegestufe II seit Dezember 2007 vor. Mit Schreiben vom 29. Januar 2008 bewilligte die Beklagte ab 1. Januar 2008 die Pflegestufe II. Ab diesem Tag würden die Kosten des Pflegedienstes bis zu einem Betrag von monatlich 921,00 EUR erstattet. Für Dezember 2007, in dem der Pflegedienst noch nicht vor Ort gewesen sei, sagte die Beklagte eine Nachzahlung zu.
Im Rahmen eines Widerspruchs beauftragte die Beklagte erneut die M. GmbH mit einer Zweitbegutachtung, der nach Aktenlage in dem Gutachten vom 26. April 2008 zu dem Ergebnis gelangte, dass seit Dezember 2007 die Pflegestufe III vorgelegen habe. Der Gesamtpflegezeitaufwand betrage 320 Minuten; eine eingeschränkte Alltagskompetenz wurde bestätigt. Mit Schreiben vom 14. Mai 2008 gewährte die Beklagte ab 1. Januar 2008 Leistungen nach der Pflegestufe III und stellte Versicherungsleistungen der Pflegestufe III mit einer Kostenerstattung von bis zu 1.432,00 EUR monatlich für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum Tag des Todes am 1. März 2008 zur Verfügung.
Einen Antrag der Klägerinnen auf einen zusätzlichen Betrag in Höhe von 665,00 EUR monatlich lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 29. Mai 2008 ab. Neben der zugebilligten Sachleistung in Höhe von 1.432,00 EUR monatlich könne nicht das Pflegegeld in Höhe von 665,00 EUR gemäß der Pflegestufe III zuerkannt werden. Sie verwies auf § 4 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung - Bedingungsteil (MB/PPV 2008).
Mit der Klage zum Sozialgericht München haben die Klägerinnen eine zusätzliche Zahlung in Höhe von zunächst insgesamt 2.837,20 EUR beantragt. Der Betrag errechnet sich wie folgt:
Gezahlt wurden von der Beklagten im streitigen Zeitraum vom 19. Dezember bis 1. März 2008 1.864,99 EUR. In dieser Zeit hätte jedoch ein Anspruch gemäß der Bewilligung von 3.510,71 EUR bestanden, so dass eine Differenz von 1.645,72 EUR bestehe. Hinzukomme, dass gemäß § 36 Abs. 4 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI) wegen Vorliegens einer besonderen Härte ein Anspruch bis zu 1.918,00 EUR pro Monat gegeben sei, so dass sich der Gesamtanspruch auf 4.702,19 EUR und sich die Differenz zum tatsächlich Geleisteten auf 2.837,20 EUR berechne.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. April 2011 abgewiesen. Es bestünden keine weiteren Ansprüche auf Erstattung von Aufwendungen für häusliche Pflegehilfe, da weder die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür noch die Voraussetzungen der Versicherungsbedingungen der Beklagten vorlägen. Häusliche Pflege könne auch als Sachleistung durch einzelne geeignete Pflegekräfte, mit denen die Pflegekasse einen Vertrag nach § 77 Abs. 1 SGB XI abgeschlossen hat, erbracht werden (§ 36 Abs. 1 S. 4 SGB XI, § 4 A Abs. 1 MB/PVV). Allerdings seien Verträge nach § 77 SGB XI mit Verwandten oder verschwägerten Pflegebedürftigen bis zum 3. Grad sowie mit Personen, die mit dem Pflegebedürftigen in häuslicher Gemeinschaft leben, unzulässig. Die Beklagte habe daher zu Recht den Abschluss eines Vertrages zur Sicherstellung der häuslichen Pflege und Betreuung sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung mit den Klägerinnen abgelehnt.
Auch die Voraussetzungen einer Kostenerstattung nach § 91 SGB XI lägen nicht vor, da diese Regelung nur auf zugelassene Pflegeeinrichtungen im Sinne des § 71 Abs. 1 SGB XI anwendbar sei. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die bestehenden gesetzlichen und vertraglichen Regelungen über das Pflegegeld und die Pflegesachleistung...