Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht: Ermäßigung der Rundfunkgebühren. Möglichkeit der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen des Merkzeichens RF

 

Orientierungssatz

1. Maßgeblich ist allein die Möglichkeit der körperlichen Teilnahme, gegebenenfalls mit technischen Hilfsmitteln, z.B. einem Rollstuhl, und / oder mit Hilfe einer Begleitperson. Ein Ausschluss aus anderen als behinderungsbedingten Gründen begründet das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF nicht (vgl. BSG, 3. Juni 1987, 9a RVs 27/85, BSG, 11. September 1991, 9a/9 RVs 15/89).

2. Das Merkzeichen RF kann nicht allein mit dem Ziel zuerkannt werden, besonderen Empfindlichkeiten der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen. Deshalb darf es nicht darauf ankommen, inwieweit sich Teilnehmer an öffentlichen Veranstaltungen durch Behinderte gestört fühlen (vgl. BSG, 9. November 2017, B 9 SB 35/17 B). Das Merkzeichen RF steht besonders empfindsamen Behinderten auch nicht allein deshalb zu, weil sie die Öffentlichkeit um ihrer Mitmenschen willen meiden.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 18. Mai 2018 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um das Vorliegen des Merkzeichens RF (Ermäßigung der Rundfunkgebühren).

Der Beklagte stellte mit Bescheid vom 07.07.2015 einen Grad der Behinderung (GdB) von 90 ab 14.07.2014 fest und erkannte der Klägerin die Merkzeichen G und B zu. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die übrigen Merkzeichen (genannt wurde unter anderen das Merkzeichen RF) lägen nicht vor.

Mit Schreiben vom 12.06.2017 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Zuerkennung des Merkzeichens RF und fügte ihrem Antrag ärztliche Unterlagen bei. Sie leide unter Gleichgewichtsproblemen und Muskelschwäche.

Mit Bescheid "nach § 48 SGB X" vom 08.08.2017 (Widerspruchsbescheid vom 19.09.2017) lehnte der Beklagte die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF ab. Die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen mit Hilfe einer Begleitperson sei möglich und zumutbar.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Sie sei nicht in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Die Nebenwirkungen beim Besuch von Veranstaltungen könnten auch nicht von einer Begleitperson aufgefangen werden. Der Beklagte lege § 4 Abs. 2 Nr. 3 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages zu ihren Ungunsten aus.

Das SG hat ärztliche Unterlagen beigezogen und ein Gutachten des Dr. Sch., Facharzt für Chirurgie, in Auftrag gegeben, das dieser nach entsprechenden Einwendungen der Klägerin (Schreiben vom 03.03.2018) am 06.04.2018 nach Aktenlage erstellt hat.

Mit Gerichtsbescheid vom 18.05.018 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Klage auf Zuerkennung des Merkzeichens aG sei mangels Verwaltungsentscheidung unzulässig. Eine Verwaltungsentscheidung hinsichtlich des im Klageverfahren zusätzlich beantragten Merkzeichens aG liege nicht vor. Die Klage hinsichtlich der Zuerkennung des Merkzeichens RF sei zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens RF. Nach §§ 4, 6 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages könnten behinderte Menschen unter bestimmten gesundheitlichen Voraussetzungen, deren Vorliegen im Ausweis durch das Merkzeichen RF gekennzeichnet werde, von der Rundfunkbeitragspflicht befreit bzw. diese ermäßigt werden. Nach dem Gesetz könnten nur noch taubblinde Menschen und Empfänger von Blindenhilfe auf Antrag von der Beitragspflicht befreit werden. Eine Ermäßigung des Rundfunkbeitrages könne auf Antrag erfolgen für Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte mit einem GdB von wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung, für hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist und für behinderte Menschen, bei denen der Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 betrage und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen könnten. Der Befreiungstatbestand der zuletzt genannten Möglichkeit setze kumulativ neben einem GdB von mindestens 80 voraus, dass der Behinderte wegen seiner Leiden ständig, das heißt im Allgemeinen und umfassend, von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei. Es genüge nicht, dass er nur an einzelnen Veranstaltungen, etwa Massenveranstaltungen, nicht teilnehmen könne. Vielmehr müsse er praktisch an das Haus bzw. an die Wohnung gebunden sein. Maßgeblich sei dabei allein die Möglichkeit der körperlichen Teilnahme, gegebenenfalls mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) und/oder mit Hilfe einer Begleitperson. Wenn der Teilnahmeausschluss nicht behinderungsbedingt, sondern durch andere Umstände verursacht sei, könne dies nicht die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" begründen. ...

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