Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung einer durch unterbliebene Arbeitslosmeldung unterbrochene Zeit der Arbeitslosigkeit als Überbrückungszeit auf die für die Gewährung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen erforderliche Wartezeit
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen der Altersrente für schwerbehinderte Menschen, hier: Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren unter Berücksichtigung von Anrechnungszeiten.
Das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit i.S.v. § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI beurteilt sich jedenfalls im ersten Dreijahreszeitraums des § 48 Abs. 2 Nr.1 SGB V nach der zuletzt ausgeübten Beschäftigung bzw. bei zwischenzeitlich beendetem Beschäftigungsverhältnis nach hinsichtlich Art und körperlichen Anforderungen vergleichbaren Tätigkeiten (vgl. BSG Urteil vom 21.2.2004, Az: B 5 RJ 30/02 R)
Eine Überbrückungszeit ist auch dann anzunehmen, wenn die unterschiedliche Beurteilung von Arbeitsfähigkeit durch verschiedene Sozialleistungsträger nicht alleine auf unterschiedlichen medizinische Erwägungen sondern vor allem auf unterschiedlichen Begrifflichkeiten der anzuwendenden Vorschriften beruht (Fortführung: BSG, Urteil v. 25.11.1991, Az: 5a/5 RKn 6/79).
Orientierungssatz
1. Zu den rentenrechtlichen Zeiten, die zur Bewilligung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach § 236 a Abs. 1 SGB 6 erforderliche Wartezeit von 35 Jahren erforderlich sind, zählen u. a. Kalendermonate, die mit Anrechnungszeiten belegt sind. Anrechnungszeiten sind nach § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB 6 u. a. Zeiten, in denen Versicherte wegen Arbeitslosigkeit bei einer deutschen Agentur für Arbeit gemeldet waren und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen haben oder diese nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens und Vermögens nicht bezogen haben.
2. Trotz fehlender Arbeitslosmeldung ist eine Zeit der Arbeitslosigkeit als Anrechnungszeit anzuerkennen, wenn aufgrund fortbestehender Arbeitsunfähigkeit von einem Überbrückungstatbestand auszugehen ist. Eine solche Lücke ist auch dann als unverschuldet bzw. als durch sozialadäquates Verhalten entstanden anzusehen, wenn der Versicherte aufgrund der Umstände des Einzelfalls davon ausgehen konnte, weiterhin arbeitsunfähig gewesen zu sein. In diesem Fall hat sich der Versicherte nicht grundsätzlich aus der Erwerbstätigkeit verabschiedet, sondern ist nach wie vor dem Kreis der Arbeitsuchenden zuzuordnen, vgl. BSG, Urteil 25. November 1981 - 5a/5 RKn 6/79.
3. Die zu berücksichtigende Höchstdauer der Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit bzw. wegen Arbeitslosigkeit beträgt nach der Rechtsprechung des BSG vom 26. Juli 2007 - B 13 R 8/07 R sechs Monate.
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13. Juni 2012 aufgehoben.
II. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 18.03.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.03.2010 verurteilt, der Klägerin ungekürzte Altersrente für schwerbehinderte Menschen zum frühest möglichen Zeitpunkt zu gewähren.
III. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten
IV. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen streitig.
Die 1948 geborene Klägerin entrichtete bis 08.02.1993 aufgrund einer abhängigen Beschäftigung als Buchbinderhelferin und zuletzt als Beschickerin einer Spritzgussmaschine in einem kunststoffverarbeitenden Betrieb Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Die letzte Tätigkeit wurde ausschließlich stehend ausgeübt und war mit dem Heben und Tragen von schweren Lasten bis zu 25 kg verbunden. Ab dem 29.12.1992 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt, u.a. aufgrund von Beschwerden der gesamten Wirbelsäule bei statischer Rückeninsuffizienz infolge einer Skoliose sowie in der Folge aufgrund eines Tumors an der Schilddrüse mit Eingriffen an der linken Schulter. Ab 09.02.1993 bezog die Klägerin Krankengeld. Der Orthopäde Dr. S. vom medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) hatte in diesem Zusammenhang zuletzt mit Gutachten vom 18.07.1994 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am selben Tag weiterhin dauerhafte Arbeitsunfähigkeit sowie die Indikation für die Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme festgestellt. Mit Ablauf des 08.12.1994 wurde die Klägerin aufgrund Erreichens der Höchstbezugsdauer aus dem Krankengeldbezug ausgesteuert.
Am 09.12.1994 beantragte die Klägerin die Bewilligung von Arbeitslosengeld beim Arbeitsamt B-Stadt. Dieses veranlasste eine ärztliche Untersuchung, welche am 16.01.1995 durchgeführt wurde. Der Amtsarzt Dr. L. bestätigte hierbei die vom MDK erhobenen Diagnosen sowie die Indikation für eine stationäre Rehabilitation, hielt die Klägerin aber für fähig, vollschichtig leichte Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen unter Ausschluss von Nässe, Kälte, Zugluft und Temperaturschwankungen, ohne Zwangshaltungen, ohne häufiges Bücken sowie ohne Heben und Tragen von Lasten...