Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersrente für schwerbehinderte Menschen aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Wartezeiterfüllung. Anrechnungszeit wegen Hochschulausbildung. Berücksichtigung von beitragsgeminderten Zeiten bei der Ermittlung der Höchstdauer von acht Jahren. Verfassungsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Berechnung der Wartezeit von 35 Jahren können Ausbildungszeiten nur bis zur Höchstdauer von acht Jahren berücksichtigt werden.
2. Auf die Höchstdauer werden auch Monate angerechnet, die sowohl mit einer Anrechnungszeit als auch mit einer Beitragszeit belegt sind (sog beitragsgeminderte Zeit).
Orientierungssatz
Es ist nicht verfassungswidrig, dass auf die Höchstdauer auch Monate angerechnet werden, die sowohl mit einer Anrechnungszeit als auch mit einer Beitragszeit belegt sind.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 12.03.2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist der Beginn der dem Kläger seit 01.12.2016 gezahlten Altersrente für schwerbehinderte Menschen und in diesem Zusammenhang der Zeitpunkt der Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren.
Bei dem 1955 geborenen Kläger besteht seit 2007 ein Grad der Behinderung von 90. Es sind nach den Feststellungen der Beklagten im Versicherungsverlauf als rentenrechtliche Zeiten gespeichert:
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16.07.72 - 08.06.73 |
12 Monate |
Fachschulausbildung |
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09.06.73 - 30.09.73 |
3 Monate |
Übergangszeit |
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01.10.73 - 31.07.74 |
10 Monate |
Hochschulausbildung |
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16.08.74 - 15.11.75 |
16 Monate |
Pflichtbeitragszeit Wehrdienst, Zivildienst |
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16.11.75 - 30.09.76 |
10 Monate |
Hochschulausbildung |
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01.10.76 - 20.03.77 |
5 Monate |
Hochschulausbildung |
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21.03.77 - 22.07.77 2.207 DM |
5 Monate |
Pflichtbeitragszeit |
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23.07.77 - 31.12.81 |
53 Monate |
Hochschulausbildung |
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01.01.82 - 11.07.84 |
Hochschulausbildung |
Höchstdauer überschritten Keine Anrechnung |
Anschließend war der Kläger vom 01.10.1985 bis 30.04.2000 versicherungspflichtig und vom 01.01.2006 bis 31.08.2016 freiwillig versichert.
Am 25.08.2016 beantragte der Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 01.09.2016, was die Beklagte mit dem streitigen Bescheid vom 12.09.2016 wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen ablehnte. Bis zum 31.08.2016 seien statt der nach § 236a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) erforderlichen 420 Monate
(= 35 Jahre) nur 417 Wartezeitmonate vorhanden. Insgesamt ergeben die Feststellungen der Beklagten 324 Kalendermonate Beitragszeiten, davon drei Monate, die mit Anrechnungszeiten zusammentreffen und als sog. beitragsgeminderte Zeiten bewertet worden sind, und 93 Kalendermonate, die nur als Anrechnungszeiten berücksichtigt sind. Als beitragsgeminderte Zeiten sind die Monate November 1975, März und Juli 1977 berücksichtigt worden, in denen das Studium unterbrochen worden ist und neben der Hochschulausbildung Pflichtbeiträge gezahlt worden sind.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass 96 Monate Ausbildungszeit anzuerkennen seien. Nach dem Versicherungsverlauf seien die Monate November 1975, März und Juli 1977 nicht als Anrechnungszeiten anerkannt worden. Anschließend sei aber die Zeit vom 01.01.1982 bis 11.07.1984 wegen Überschreitens der Höchstdauer nicht mehr anerkannt worden, obwohl bis dahin statt der maximal möglichen 96 Monate nur 93 Monate angerechnet worden seien. Bei einer Anerkennung von 96 Monaten Ausbildungszeit wäre die Wartezeit bereits am 01.09.2016 erfüllt.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2016 zurück. Auf die Wartezeit von 35 Jahren seien alle Kalendermonate, die mit rentenrechtlichen Zeiten belegt sind, anzurechnen (§ 54 SGB VI). Würden in einem Kalendermonat mehrere rentenrechtliche Zeiten zusammentreffen, komme es nicht zu einer Doppelanrechnung von Zeiten. Das Anrechnungsjahr umfasse 12 Kalendermonate (§ 122 Absatz 2 SGB VI). Die Monate November 1975, März und Juli 1977 seien bei den Wartezeitmonaten bereits berücksichtigt worden. Die Zeit vom 01.01.1982 bis 11.07.1984 könne nicht als Anrechnungszeit wegen Hochschulausbildung anerkannt werden, da die Höchstdauer von acht Jahren damit überschritten werde. Für die Ermittlung der Höchstdauer seien auch die Kalendermonate ("Randmonate") zu berücksichtigen, in denen sowohl eine schulische Anrechnungszeit als auch eine Beitragszeit lägen. Dies gelte unabhängig davon, ob die Beitragszeit oder die Anrechnungszeit den gesamten Kalendermonat umfasse.
Mit seiner Klage zum Sozialgericht München hat der Kläger beantragt, ihm die Altersrente bereits ab 01.09.2016 zu zahlen. Dabei gehe es ihm nicht um eine Doppelanrechnung von Zeiten. Tatsächlich seien aber die Monate November 1975, März und Juli 1977, obwohl sie im Versicherungsverlauf als Pflichtbeitragsmonate gespeichert seien, entsprechend der internen Dienstanweisung der DRV Bund bei der Berechnung der Höchstdauer von 96 Monaten als Anrechnungszeit m...