Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung der Klagerücknahme
Leitsatz (redaktionell)
Die formwirksam erklärte Klagerücknahme kann – wenn kein Wiederaufnahmegrund vorliegt – weder angefochten noch widerrufen werden. Das gilt auch im Fall eines Irrtums über Inhalt oder Reichweite der Erklärung.
Normenkette
SGG § 102 S. 2, § 118 Abs. 1 S. 1, §§ 122, 179-180; ZPO § 160 Abs. 3 Nr. 8, § 162 Abs. 1 S. 1, §§ 579-580
Tenor
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 22. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das sozialgerichtliche Verfahren S 5 AS 514/08 durch Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung am 20.5.2010 erledigt worden ist.
Der 1950 geborene Kläger begehrte im Verfahren vor dem Sozialgericht Landshut mit dem Aktenzeichen S 5 AS 514/08 die Aufhebung der Bescheide der Beklagten vom 14.2.2008 und vom 7.5.2008 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 17.7.2008, mit denen ihm Leistungen für die Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 1.2.2008 bis zum 30.6.2008 bewilligt wurden. Er hatte durch seine Prozessbevollmächtigte beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ihm Leistungen für Unterkunft und Heizung ohne Berücksichtigung der "Kopfzahlmethode" in voller Höhe für einen Ein-Personenhaushalt zu bewilligen.
Am 20.5.2010 fand vor dem Sozialgericht Landshut eine mündliche Verhandlung statt, an der der Kläger zusammen mit seiner Prozessbevollmächtigten teilnahm. Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage erklärte, ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung, die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit dessen Einverständnis: "Wir nehmen die Klage zurück". Aus dem Protokoll ergibt sich weiter, dass diese Erklärung vorgelesen und genehmigt wurde.
Mit Schreiben vom 17.6.2010, beim Sozialgericht Landshut am 21.6.2010 eingegangen, hat der Kläger die Klagerücknahme vom 20.5.2010 angefochten. Zur Begründung hat er sinngemäß vorgetragen, er sei benachteiligt worden. Er habe dem Prozess nur schlecht folgen können, da so leise gesprochen worden sei und eine Übersetzung ins Rumänische nicht erfolgte. Seine Rechtsbeschwerde sei begründet und daher sei die angefochtene Entscheidung aufzuheben und über die Sache neu zu entscheiden.
Das Sozialgericht Landshut hat daraufhin das Verfahren unter dem Aktenzeichen S 5 AS 783/10 FdV fortgesetzt und nach entsprechender Anhörung mit Gerichtsbescheid vom 22.12.2010 festgestellt, dass der Rechtsstreit S 5 AS 514/08 durch Klagerücknahme erledigt sei. Die Klagerücknahme sei ausdrücklich durch die bevollmächtigte Rechtsanwältin mit dem Einverständnis des Klägers erklärt worden. Zweifel an der Wirksamkeit dieser Erklärung würden nicht bestehen. Die Klagerücknahme sei eine Prozesshandlung, die nicht nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts angefochten werden könne. Lediglich ausnahmsweise könne sie widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§ 179, 180 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erfüllt seien. Diese würden nicht vorliegen.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 24.1.2011 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die Richterin der ersten Instanz habe ihm in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass seine Klage unzulässig sei und er sie zurücknehmen solle. Die Beklagte habe zu Unrecht die Kosten der Unterkunft nach der "Kopfzahlmethode" berechnet. Diese sei bei ihm und seiner Lebensgefährtin nicht anzuwenden. Er bitte um eine erneute Überprüfung seines Falles.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 22.12.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 14.2.2008 und 7.5.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.7.2008 zu verurteilen, die Kosten der Unterkunft in voller Höhe zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte und statthafte Berufung ist gemäß §§ 143, 151 SGG zulässig. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Das Verfahren S 5 AS 514/08 ist durch die Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung am 20.5.2010 erledigt worden. Dies wurde vom Sozialgericht ordnungsgemäß in der Sitzungsniederschrift protokolliert, vorgelesen und genehmigt (§§ 153 Abs. 1, 123 SGG i.V.m. § 162 Zivilprozessordnung - ZPO -). Die Niederschrift wurde von der Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin gemäß § 163 ZPO unterschrieben.
Nach § 102 SGG kann der Kläger die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache.
Die Abgabe der Klagerücknahmeerklärung durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers wird durch das Sitzungsprotokoll vom...