Entscheidungsstichwort (Thema)
Kranken- und Pflegeversicherung. Beitragsbemessung freiwillig Versicherter. keine Berücksichtigung des Bayerischen Landesblindengeldes. Verfassungswidrigkeit des § 4 Nr 4 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler
Leitsatz (amtlich)
Das Bayerische Landesblindengeld unterliegt nicht der Beitragspflicht in der Freiwilligen Krankenversicherung nach § 240 SGB V.
Orientierungssatz
Die sich aus den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler ergebende unterschiedliche Behandlung von Landesblindengeld einerseits und Blindenhilfe nach § 72 SGB 12 stellt einen Verstoß gegen höherrangiges Recht, nämlich Art 3 GG dar.
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 13.05.2015 und der Bescheid vom 20.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2014 insoweit aufgehoben, als dort das der Klägerin gewährte Bayerische Landesblindengeld in der Zeit ab 01.07.2011 der Beitragspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung unterworfen ist.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob das bayerische Landesblindengeld bei der Beitragsbemessung in der Kranken- und Pflegeversicherung als beitragspflichtige Einnahme zu berücksichtigen ist.
Die 1952 geborene Klägerin ist bei der Beklagten als freiwilliges Mitglied krankenversichert und bei der Beigeladenen pflegeversichert. Sie bezieht neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung der DRV Bayern Süd Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz in Höhe von monatlich 523 Euro (Stand: 01.07.2011).
Mit Beitragsbescheid vom 20.07.2011 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass für die Mitgliedschaft in der Kranken- und Pflegeversicherung ab 01.07.2011 ein monatlicher Betrag von insgesamt 181,81 Euro (161,15 Euro Krankenversicherung und 20,66 Euro Pflegeversicherung) zu entrichten sei. Dabei wurde das monatliche Blindengeld als betragspflichtige Einnahme berücksichtigt. Die Klägerin hatte bereits zuvor Blindengeld bezogen, das bis dahin aber von der Beklagten nicht bei der Beitragsberechnung berücksichtigt wurde.
Gegen den Beitragsbescheid erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, dass das Landesblindengeld ebenso wie die Blindenhilfe nicht zu den im Rahmen des § 240 SGB V zu berücksichtigenden "Einnahmen zum Lebensunterhalt" gehöre. Der Begriff der "Einnahmen zum Lebensunterhalt" werde zwar sehr weit ausgelegt. Das Bundessozialgericht habe jedoch eine Grenze dort gezogen, wo es um "Hilfen in besonderen Lebenslagen" gehe. Die Blindenhilfe nach § 67 BSHG sei deshalb auch nie für die Beitragsberechnung herangezogen worden. An dieser Rechtslage habe sich mit der Neuregelung des Sozialhilferechts im SGB XII nichts geändert. Auch für die in § 72 SGB XII geregelte Blindenhilfe müsse gelten, dass sie bei der Beitragsberechnung nicht zu berücksichtigen ist. Für das Landesblindengeld, für die Pflegezulage für Blinde und für das Pflegegeld für Berufsunfallblinde könne wiederum nichts anderes gelten. Mit weiteren Beitragsbescheiden vom 02.07.2013 und 26.02.2014 unterwarf die Beklagte das Landesblindengeld der Klägerin ebenfalls der Beitragspflicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Welche Einnahmen bei freiwilligen Mitgliedern der Beitragsberechnung zugrunde zu legen seien, bestimme sich nach § 240 SGB V und § 21 der Satzung der AOK Bayern. Dabei seien die "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" vom 27.10.2008, zuletzt geändert am 27.11.2013, zu berücksichtigen. Nach § 4 dieser Grundsätze seien den beitragspflichtigen Einnahmen auch Leistungen zum Ausgleich der durch Blindheit bedingten Mehraufwendungen und Benachteiligungen nach den landesrechtlichen Vorschriften (Blindengeld) zuzurechnen, soweit diese Leistungen nicht auf die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII angerechnet werden. Auch in den vom GKV Spitzenverband erstellten Katalog der häufigsten Einnahmen einschließlich deren beitragsrechtlicher Bewertung sei die Einnahmeart Blindengeld nochmals konkret aufgeführt. Die Regelung in den "Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler" sei rückwirkend zum 01.01.2009 in Kraft getreten.
Die Klägerin hat ihr Anliegen weiterverfolgt und Klage erhoben zum Sozialgericht Landshut. Nach ihrer Auffassung handelt es sich nach der generalklauselartigen Definition in § 3 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler bei dem gewährten Landesblindengeld um keine beitragspflichtige Einnahme. Es sei nicht nachvollziehbar, dass in § 4 Nr. 4 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler eine beitragsrechtliche Unterscheidung von Landesblindengeld und Blindenhilfe nach § 72 SGB XII vorgenommen werde. Blindengeld und Blindenhilfe entsprächen demselben Grundgedanken und verfolgten den gleichen Zweck. Da es sich somit um "gleichartige Leistungen" handle, gebe es keinen Grund, sie beitragsrechtlich unterschiedlich zu behandeln. Die Regelung in § 4 Nr. 4 der Beitragsverfahrensgrundsä...