Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. Sekundäropfer. Schockschaden der Mutter. Erfordernis einer besonders schrecklichen Gewalttat. schwere Körperverletzung gegenüber einem Kleinkind. schlimme Folgen. Unmittelbarkeitszusammenhang. zeitliche Nähe. spätere Bewusstwerdung der Tatumstände

 

Leitsatz (amtlich)

Die höchstrichterliche Rechtsprechung zu sogenannten "Schockschäden" bei einem Sekundäropfer erfordert eine "besonders schreckliche Gewalttat". Eine solche Gewalttat ist nur bei Totschlag und Mord sowie vergleichbaren Gewalttaten anzunehmen. Eine schwere Körperverletzung nach § 226 Abs 1 Nr 1 und 3 StGB fällt nicht darunter.

 

Orientierungssatz

1. Dies gilt auch, wenn die gegenüber dem Primäropfer (hier: Kleinkind) verübte Gewalttat (hier: Schütteln mit Überstreckung der Halswirbelsäule) schlimme Folgen hat (hier: zeitweise Lebensgefahr des Kindes sowie bleibende Schäden in Form von geistiger Behinderung, schwerer Epilepsie und nahezu vollständigem Sehverlust auf einem Auge).

2. Der erforderliche unmittelbare Zusammenhang zwischen dem Schädigungstatbestand und der schädigenden Einwirkung ist nicht mehr gegeben, wenn dem Sekundäropfer die schockierenden Tatumstände erst viel später bewusst werden (hier: im Verhandlungstermin vor dem Strafgericht als der Sachverständige das Tatgeschehen an einer mitgeführten Puppe demonstrierte).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 25.09.2017; Aktenzeichen B 9 V 30/17 B)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 27. November 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt wegen zweier Gewalttaten vom 30.11.2010 und 15.06.2011 eine Versorgungsrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 50 unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit.

1. Nach den Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Landgerichts A-Stadt vom 05.11.2012 (Az. xxx) war P. K., der Vater des gemeinsamen, am 15.09.2010 geborenen Kindes F. K. und damaliger Ehemann der Klägerin, am 30.11.2010 gegen 14:45 Uhr mit dem Kind F. K. allein in der gemeinsamen Wohnung. Aus nicht näher feststellbarem Anlass nahm Herr K., der am Tattag unter einem massiven grippalen Infekt mit Fieber erkrankt war, das Kind F. hoch und schüttelte es in einer ausholenden Bewegung zweimal so heftig, dass der ungestützte Kopf des Kindes in einer Schleuderbewegung peitschenartig hin und her flog und dabei mindestens einmal mit dem Kinn am Brustbein aufschlug. In der Gegenbewegung wurde der Kopf so weit nach hinten geschleudert, wie es die größtmögliche Überstreckung der Halswirbelsäule erlaubt hat. Durch dieses Vorgehen kam es dazu, dass bei dem Kind F. mehrere der zwischen der Hirnoberfläche und der mit dem Schädel fest verwachsenen harten Hirnhaut liegenden Brückenvenen abgerissen sind, wodurch es zu einer massiven Einblutung im Schädel kam. F. erlitt ein massives Schütteltrauma mit Subduralhämatom. Aufgrund der Heftigkeit des Schüttelns kam es auch zu einer Zugbeanspruchung an den Sehnerven und zu einer Netzhauteinblutung im linken Auge des F.. Die Verletzungen machten am 30.11.2010 eine Notoperation am Schädel des in Lebensgefahr befindlichen Kindes und im Nachgang einen bis zum 19.05.2011 dauernden stationären Aufenthalt mit einer Nachoperation und anschließenden stationären Rehamaßnahmen erforderlich. Das Handeln des Angeklagten führte bei F. zu einer geistigen Retardierung mit einem dauerhaften Entwicklungsrückstand im Sinne einer geistigen Behinderung, einer schweren Epilepsie mit atypischen Absenzen, die bis zu wenige Minuten andauern, sowie einer erheblichen Sehminderung. Aufgrund der Schädigung der Sehnerven beträgt das Sehvermögen von F. auf dem linken Auge lediglich 0,5 %, eine messbare Sehleistung am rechten Auge besteht überhaupt nicht. Eine Verbesserung dieses Zustandes ist wegen der schweren Schädigung der Sehnerven nicht zu erwarten. Weiter besteht infolge der erlittenen Verletzungen eine statomotorische Entwicklungsstörung mit der Folge, dass F. nur ungezielt rollen und weder koordiniert krabbeln noch sich an Gegenständen zum Stand hochziehen kann, es ist lediglich ein Aufrichten vom Liegen zum Sitzen möglich. Die Entwicklung einer Gehfähigkeit ist nicht zu erwarten. Eine geistige Entwicklungsstörung führt schließlich dazu, dass F. nur zu ungezielten Silbendoppelungen in der Lage ist. Seit einiger Zeit kommt es zu autoaggressiven Handlungen, in deren Rahmen F. sich selbst (unter anderem ins Gesicht) schlägt.

Am 16.12.2010 wurde die Klägerin zum Vorfall am 30.11.2010 polizeilich als Zeugin vernommen. Dabei wurde ihr mitgeteilt, dass gegen ihren Ehemann P. K. wegen des Verdachts der Misshandlung Schutzbefohlener ermittelt werde. Im Rahmen dieser Vernehmung äußerte die Klägerin, dass sie gegen 15:00 Uhr von P. K. einen Anruf an ihrer Arbeitsstelle bekommen habe, wobei dieser ihr mitg...

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