Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Anspruchsübergang. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Anhörung. Nichtanhörung des Leistungsberechtigten. Klage des Schuldners. Rückforderung einer Schenkung wegen Verarmung des Schenkers. Verzicht auf Erbteil zugunsten der Geschwister. Ermessensausübung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Rahmen einer Entscheidung nach § 93 Abs 1 SGB XII ist eine Ermessensausübung nicht im Sinne eines intendierten Ermessens eingeschränkt. Der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe ist als gewichtiges Kriterium bei der Ermessensausübung zu beachten.

2. Eine versäumte Anhörung des Gläubigers des übergeleiteten Anspruchs nach § 24 SGB X führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Überleitungsanzeige in Bezug auf den Schuldner des übergeleiteten Anspruchs.

 

Orientierungssatz

Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass ein Leistungsberechtigter für die Zeit, für die Leistungen erbracht wurden, einen Anspruch gegen seine Geschwister auf Schenkungsrückforderung gemäß § 528 BGB hat, wenn er durch den Verzicht auf seinen Anteil am Erbe des Vaters eine unentgeltliche Zuwendung seines Erbteils an seine Geschwister bewirkt hat.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 24.09.2015 wird zurückgewiesen.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen die Überleitung eines Schenkungsrückforderungsanspruches.

Die Kläger sind Geschwister und haben eine weitere Schwester, Frau I. A. (im Folgenden Leistungsberechtigte). Diese erhielt zunächst Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt von der Stadt E-Stadt, ab dem 01.03.2009 erhielt sie Eingliederungshilfe in Form des ambulant betreuten Wohnens sowie ab dem 01.04.2009 Hilfe zum Lebensunterhalt vom Beklagten. Seit dem 01.04.2014 stand die Leistungsberechtigte im Leistungsbezug nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Der Leistungsbezug beim Beklagten dauerte bis zum 31.07.2014 an. Nach Aktenlage wurden für den Zeitraum 01.03.2009 bis 31.07.2014 Netto-Sozialhilfeleistungen in Höhe von 39.317,38 Euro erbracht.

Im April 2011 erhielt der Beklagte vom Amtsgericht A-Stadt die Auskunft, dass die Leistungsberechtigte neben ihren beiden Geschwistern Miterbin zu 1/3 am Nachlass des Vaters, der am 01.12.2003 verstorben war, geworden ist. Das Amtsgericht A-Stadt wies einen Wert des im Nachlass befindlichen Grundbesitzes in Höhe von 638.101,71 Euro sowie einen sonstigen Nachlass in Höhe von 28.070 Euro aus. Die Mutter der Kläger und Leistungsberechtigten war im Jahr 2001 vorverstorben.

Im Rahmen einer Teil-Erbauseinandersetzung durch notariellen Vertrag am 20.12.2004 wurde die bestehende Erbengemeinschaft der Kläger und der Leistungsberechtigten teilweise aufgehoben und der Nachlass bezüglich des Immobilienbesitzes aufgeteilt auf den Kläger und die Klägerin. Es wurde vereinbart, dass der übrige noch vorhandene Nachlass nicht verteilt werden solle und die Erbengemeinschaft dafür uneingeschränkt bestehen bleibe. Als Gegenleistung wurde vereinbart, dass sich die Kläger verpflichten, der Tochter der Leistungsberechtigten (geboren am 23.07.1992) im Wege des echten Vertrages zu Gunsten Dritter bei deren Volljährigkeit eine unbelastete Immobilie zu übertragen, deren Wert mindestens 100.000 Euro und höchstens 120.000 Euro betragen solle. Hilfsweise solle ein entsprechender Geldbetrag an die Tochter der Leistungsberechtigten gezahlt werden. Die Urkunde enthielt den notariellen Hinweis, dass bei Verarmung des Veräußerers (der Leistungsberechtigten) ein gesetzliches Rückforderungsrecht nach § 528 BGB bestehen könne, das bei Bezug von Sozialhilfe gemäß § 90 BSHG auf den Sozialleistungsträger übergeleitet werden könne.

Die Bank des Erblassers teilte am 23. Januar 2012 dem Beklagten mit, dass die Leistungsberechtigte bei der Erbaufteilung des Bankvermögens auf ihren Anteil am Nachlassguthaben zu Gunsten der anderen Erben verzichtet habe. Ein entsprechender Nachweis über die Erbaufteilung wurde vorgelegt.

Am 24.02.2012 hörte der Beklagte die Kläger zur beabsichtigten Überleitung eines Anspruchs auf Rückforderung einer Schenkung aufgrund des Verzichts der Leistungsberechtigten auf ihren Erbanteil am Bankvermögen in Höhe von 28.265.-Euro an. Auch eine Rückforderung der Schenkung des Immobilienanteils werde geprüft. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger erklärte daraufhin, dass die Leistungsberechtigte zwar auf ihren Erbanteil verzichtet habe, es handele sich jedoch weder um eine Zuwendung noch um eine Schenkung, da die Leistungsberechtigte keinen entsprechenden Willen gehabt habe. Die Leistungsberechtigte habe vielmehr keinerlei Erbe von ihren Eltern annehmen wollen. Der Kontakt zu ihren Geschwistern sei auch sehr gering. Ein überleitungsfähiger Anspruch bestehe damit nicht. Vorsorglich werde die Einrede der Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB erhoben.

Am 05.06.2012 leitete der Beklagte den Anspruch der Leistungsberechtigten gegen die Kläger auf Rückforderung einer Sc...

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