Leitsatz (amtlich)
Streicht ein Erblasser den Text seines Testaments und zusätzlich seine Unterschrift komplett durch, so ist davon auszugehen, dass er diese Verfügung widerrufen hat.
Das widerrufene Testament kann jedoch zur Auslegung eines späteren, unvollständig gebliebenen Testaments herangezogen werden, wenn der Erblasser dieses Testament gemeinsam mit dem widerrufenen Testament in einem Umschlag verschlossen und aufbewahrt hat (Fortführung und Abgrenzung von BayObLG v. 7.7.1997 - 1Z BR 118/97, BayObLGZ 1997, 209 = BayObLGReport 1997, 83).
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Beschluss vom 02.08.2004; Aktenzeichen 1 T 1069/04) |
AG Pfaffenhofen a.d. Ilm (Aktenzeichen VI 126/03) |
Tenor
I. Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des LG Ingolstadt v. 2.8.2004 wird zurückgewiesen.
II. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 340.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der im März 2003 im Alter von 82 Jahren verstorbene Erblasser war verheiratet und kinderlos. Seine Ehefrau starb ein halbes Jahr nach ihm; sie wurde von den Beteiligten zu 3) und 4) (einer Nichte der Ehefrau und dem Ehemann der Nichte) beerbt. Die Beteiligten zu 1), 5) und 6) sind Neffen des Erblassers (Söhne vorverstorbener Schwestern), die Beteiligten zu 2) und 7) Kinder des Beteiligten zu 1).
Der Erblasser hat zwei eigenhändig ge- und unterschriebene Testamente verfasst, die gemeinsam in einem Umschlag verwahrt nach seinem Tod aufgefunden wurden.
Das erste Testament trägt das Datum 27.4.1998 und lautet auszugsweise:
"Im Vollbesitz meiner Kräfte verfüge ich, dass nach meinem Tode erben sollen:
I. M. (Beteiligter zu 5)) Flur Nr. 47 und 50.000 DM
II. P. (Beteiligter zu 6)) Flur Nr. 57 und 100.000
III. Die Kinder von J. (Beteiligter zu 1) aus 1. Ehe (Beteiligte zu 2) und 7)
1. Kind 25.000 Euro
2. Kind 25.000 Euro
das 3. Kind aus anderer Ehe soll 10.000 Euro erhalten.
IV. A. (Beteiligte zu 3) das Areal in O.
V. alles übrige gehört meiner Frau.
Ich erwarte von meiner Frau ..., dass sie außer an ihre Verwandten auch noch an die Söhne von M. denkt."
Dieses Testament ist mit einem diagonalen Strich von unten links nach oben rechts durchgestrichen. Auch ist die Unterschrift mehrfach mit waagerechten Strichen und zusätzlich einer Art Schlangenlinie durchgestrichen. Bei der durchgestrichenen Unterschrift findet sich ein (nicht durchgestrichenes) Handzeichen des Erblassers. Der Zeitpunkt der Streichungen ist nicht bekannt.
Das zweite Testament trägt auf Bl. 1 oben das Datum 16.2.2002 und lautet auszugsweise:
"Im Vollbesitz meiner Kräfte verfüge ich, dass nach meinem Tode erben sollen:
I. M. (Beteiligter zu 5) Flur Nr. 47 und 25.000 Euro.
II. P. (Beteiligter zu 6) Flur Nr. 57 und 30.000 Euro.
III. die Kinder von J. (Beteiligter zu 1) aus 1. Ehe (Beteiligte zu 2) und 7) sollen jedes 15.000 Euro erhalten.
IV. die Kinder von J. (Beteiligter zu 1) aus 2. Ehe sollen je 5.000 Euro erhalten.
Blatt 2
Testamentsfortsetzung
V. die Münzensammlung soll erben ...
VI. die Familienbücher soll erben ...
meine Ehefrau hat für die 2. Kellerhälfte noch 165.000 Euro Schul den; diesen muss sie zur Verbesserung des Anwesens D. straße ein bringen
Das Anwesen erbt meine Frau.
4. A. (Beteiligte zu 3) soll die zweite Hälfte des Kellers erben; 30.000 Euro hat sie als Wertsteigerung zu bezahlen.
Blatt 3
VII. Fortsetzung Testament
(Es folgt auf Bl. 3 und 4 eine Auflistung von 16 Grundstücken mit Flächenangaben, ohne Bestimmung eines Begünstigten)
Das Testament wird noch vervollständigt.
25.11.2002 Klinikum
(Unterschrift)"
Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus Immobilien, die das AG mit 1,4 Mio. Euro bewertet hat, sowie aus Geldvermögen i.H.v. rund 160.000 Euro.
Es liegen widersprechende Erbscheinsanträge des Beteiligten zu 1) und der Ehefrau des Erblassers vor. Der Beteiligte zu 1) ist der Auffassung, das erste - durchgestrichene - Testament entfalte keine Rechtswirkungen und das zweite Testament enthalte keine Erbeinsetzung. Er beantragte die Erteilung eines Erbscheins gem. gesetzlicher Erbfolge (ausgehend vom Güterstand der Gütertrennung): Miterben seien die Ehefrau zu 1/2, er selbst zu 1/4 und die Beteiligten zu 5) und 6) zu je 1/8.
Die Ehefrau des Erblassers beantragte einen Erbschein als Alleinerbin. Die Beteiligten zu 3) bis 6) unterstützten in der Folge diesen Antrag. Sie tragen vor, dass es zwischen dem Erblasser und dem Beteiligten zu 1) in der Vergangenheit zu einem Zerwürfnis gekommen sei; der Erblasser habe mehrfach geäußert, dass eine Zuwendung an den Beteiligten zu 1) nicht in Betracht komme und seiner Ehefrau alles gehören solle. Der Beteiligte zu 1) behauptet, es sei in den letzten Jahren zu einer Annäherung zwischen ihm und dem Erblasser gekommen.
Mit Beschluss v. 27.1.2004 wies das AG den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) ab. Am 5.3.2004 erließ das AG einen Vorbescheid, in dem es einen Alleinerbschein zugunsten der Ehefrau des Erblassers ankündigte. Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Ehefrau aufgrund des Testaments v. 16.2.2002 Alleinerbin geworden sei. Die ...