Entscheidungsstichwort (Thema)

Testierfähigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Geschäftsunfähigkeit liegt nach § 104 Nr. 2 BGB aber nur vor, wenn eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit von Dauer vorliegt, die geeignet ist, die freie Willensbestimmung auszuschließen.

 

Normenkette

BGB § 104 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LG Schweinfurt (Beschluss vom 16.07.1999; Aktenzeichen 24 T 144/97)

AG Bad Kissingen (Beschluss vom 13.05.1997; Aktenzeichen VI 645/96)

 

Tenor

I. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 werden die Beschlüsse des Landgerichts Schweinfurt vom 23. April 1999 und 16. Juli 1999 sowie der Beschluß des Amtsgerichts Bad Kissingen – Nachlaßgericht – vom 13. Mai 1997 aufgehoben.

II. Die Sache wird zu anderer Behandlung und neuer Entscheidung an das Landgericht Schweinfurt zurückverwiesen.

III. Der Beteiligten zu 1 wird mit Wirkung ab 22. Juli 1999 Prozeßkostenhilfe für das Verfahren der weiteren Beschwerde bewilligt. Ihr wird Rechtsanwalt R. beigeordnet.

 

Tatbestand

I.

Das Verfahren betrifft die Erbfolge nach den Eheleuten A und B, deren Ehe kinderlos blieb. Am 17.3.1976 verfaßten die Eheleute ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten, ohne einen Schlußerben zu bestimmen. Am 16.8.1996 schloß der Ehemann mit der Beteiligten zu 1, die die Ehefrau seit ca. zwei Jahren pflegte, einen Erbvertrag, in dem er seine Ehefrau als befreite Vorerbin und die Beteiligte zu 1 als Nacherbin einsetzte und in dem sich die Beteiligte zu 1 verpflichtete, nach seinem Tod die Ehefrau bei sich aufzunehmen und weiterhin zu pflegen. Ebenfalls am 16.8.1996 erklärte er zu notarieller Urkunde den Widerruf des gemeinschaftlichen Testaments vom 17.3.1976. Die Urkunde enthält folgende weitere Erklärung:

Ich weiß, daß diese Rücktrittserklärung zugehen muß und zwar formgerecht, um wirksam zu sein. Meine Ehefrau erhält deshalb eine Ausfertigung. … Soweit keine Geschäftsfähigkeit meiner Ehefrau besteht, ist der Widerruf auch an den gesetzlichen Vertreter erklärt …

Am 19.8.1996 händigte der Ehemann der Ehefrau eine Ausfertigung der Widerrufserklärung aus. Die Ehefrau setzte auf dem Schlußblatt der notariellen Urkunde ihre Unterschrift unter das in fremder Schrift eingetragene Wort „einverstanden:”.

Am 1.9.1996 verstarb A im Alter von nahezu 90 Jahren. B wurde am 10.9.1996 wegen einer Lungenentzündung in das Krankenhaus eingewiesen und verstarb dort am 21.9.1996 im Alter von 89 Jahren, ohne eine weitere letztwillige Verfügung zu hinterlassen. Ihre gesetzliche Erbin war ihre in Lettland lebende Schwester. Diese verstarb am 22.9.1998 und wurde vom Beteiligten zu 2 beerbt.

Am 25.4.1997 richtete die Beteiligte zu 1 an das Amtsgericht folgendes Schreiben:

Betreff: Nachlaß A/B

Sehr geehrte Damen und Herren,

A ist am 1.9.1996 und B am 21.9.1996 verstorben. Da ich laut Testament Letzterbe der Eheleute bin, bitte ich um die Übersendung eines Erbscheins. …

Das Nachlaßgericht wies diesen Antrag mit Beschluß vom 13.5.1997 zurück mit der Begründung, die Beteiligte zu 1 sei nicht Erbin der B geworden. Diese habe kein Testament hinterlassen, so daß gesetzliche Erbfolge eingetreten sei. Das Testament vom 17.3.1976 sei nicht wirksam widerrufen worden, weil B im Zeitpunkt des Zugangs der Widerrufserklärung geschäftsunfähig gewesen sei. Sie sei daher alleinige Vollerbin nach A geworden. Das Nachlaßgericht erteilte auf Antrag der vormaligen Beteiligten zu 2 einen Erbschein, der diese als Alleinerbin von B auswies.

Die Beteiligte zu 1 legte gegen den Beschluß des Nachlaßgerichts vom 13.5.1997 Beschwerde ein. Sie stellte klar, daß sich ihr Antrag auf Erteilung eines Erbscheins darauf bezieht, Alleinerbin des A aufgrund Nacherbfolge gemäß Erbvertrag vom 16.8.1996 geworden zu sein. Das Landgericht behandelte das Rechtsmittel weiterhin im Nachlaßverfahren B, zog die Akten des auf Antrag von A eingeleiteten Betreuungsverfahrens und die dessen Nachlaß betreffende Nachlaßakte bei. Es holte eine ärztliche Bescheinigung der langjährigen Hausärzte der Erblasserin und Stellungnahmen der Ärzte ein, die diese ab Mitte 1996 behandelt haben. Außerdem lag dem Landgericht der Bericht der Ärztin für Psychiatrie vor, die die Erblasserin am 17.9.1996 im Rahmen des eingeleiteten Betreuungsverfahrens untersucht hat. Das Landgericht beauftragte den ärztlichen Direktor einer Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob die Erblasserin bei Zugang der Widerrufserklärung ihres Ehegatten geschäftsunfähig gewesen sei. Der Sachverständige erstellte am 22.1.1998 ein Gutachten und am 27.11.1998 ein Ergänzungsgutachten, in denen er eine hochgradige Minderung der geistig-seelischen Leistungsfähigkeit der B feststellte und deshalb ihre Geschäftsunfähigkeit am 16.8.1996 annahm.

Mit Beschluß vom 23.4.1999 wies das Landgericht die Beschwerde der Beteiligten zu 1 zurück. Diese Entscheidung ergänzte es mit Beschluß vom 16.7.1999 dahin, daß im Rubrum die vormalige Beteiligte zu 2 als Beschwerdegegnerin aufge...

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