Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterliche Sorge: Anforderungen an die Begründung der gerichtlichen Entscheidung bei Entzug der gesamten elterlichen Sorge. Notwendigkeit erneuter Anhörung des betroffenen Kindes und des Sorgeberechtigten in der Beschwerdeinstanz
Leitsatz (amtlich)
1. Soll die gesamte elterliche Sorge entzogen werden, so ist sowohl der Entzug der Personensorge wie der Entzug der Vermögenssorge jeweils gesondert zu begründen.
2. Ist das Vormundschaftsgericht nach Anhörung des Sorgeberechtigten und des Kindes abweichend von einem eingeholten psychologischen Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Einschränkung oder Entziehung der elterlichen Sorge nicht geboten ist, so hat das Beschwerdegericht den Sorgeberechtigten und das Kind erneut anzuhören, wenn es auf der Grundlage desselben Gutachtens ohne weitere eigene Ermittlungen die elterliche Sorge insgesamt entziehen will.
Normenkette
BGB §§ 1666, 1666a; FGG §§ 50a, 50b
Verfahrensgang
LG Schweinfurt (Beschluss vom 11.10.1995; Aktenzeichen 1 T 78/95) |
AG Bad Kissingen (Aktenzeichen VIII 236/81) |
Tenor
I. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2 wird der Beschluß des Landgerichts Schweinfurt vom 11. Oktober 1995 aufgehoben. Die Sache wird zu anderer Behandlung und neuer Entscheidung an das Landgericht Schweinfurt zurückverwiesen.
II. Der Beteiligten zu 2 wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde mit Wirkung ab 27. November 1995 Prozeßkostenhilfe bewilligt. Ihr wird Rechtsanwältin … beigeordnet.
Tatbestand
I.
Die im Jahr 1981 geborene Beteiligte zu 1 ist die nichteheliche Tochter der Beteiligten zu 2. Im Jahr 1984 heiratete die Beteiligte zu 2 den Beteiligten zu 3. Die Beteiligte zu 1 wuchs zusammen mit ihren zwei Halbgeschwistern aus dieser Ehe in der Familie ihrer Mutter und ihres Stiefvaters auf 1985 wurde ihr deren Ehename erteilt, 1993 trennten sich die Eheleute. Im Scheidungsverfahren wurde das Sorgerecht für die beiden ehelichen Kinder dem Vater übertragen. Die Beteiligte zu 1 lebte zunächst bei ihrer Mutter in einem Frauenhaus, strebte jedoch immer wieder zu ihrem Stiefvater und ihren beiden Halbgeschwistern zurück. Die Mutter war mit einem Aufenthalt bei dem Stiefvater zunächst nicht einverstanden, gab aber letztlich nach. Seit September 1993 lebt das Kind (Beteiligte zu 1) mit Zustimmung der Mutter bei dem Stiefvater. Die Mutter hat inzwischen wieder geheiratet.
Nach der Trennung der Eheleute beantragte der Stiefvater mehrfach, der Mutter das Sorgerecht für das Kind zu entziehen und es auf ihn zu übertragen. Seinen ersten Antrag nahm er wieder zurück, den zweiten Antrag lehnte das Vormundschaftsgericht ab. Auf seinen dritten Antrag vom 25.8.1994 hörte das Vormundschaftsgericht das Mädchen, die Mutter und den Stiefvater persönlich an. Ferner holte es Stellungnahmen der beteiligten Jugendämter und ein fachpsychologisches Gutachten zu der Frage ein, ob der Verbleib bei dem Stiefvater oder die Rückkehr zur Mutter dem Kindeswohl am besten entsprächen. Der Gutachter sprach sich im Sinn des Antrags des Stiefvaters aus, vor allem weil das Mädchen seiner Mutter ablehnend gegenüberstehe und bei einer Rückführung zur Mutter das Risiko einer Fehlentwicklung sehr hoch einzuschätzen sei.
Gleichwohl lehnte das Vormundschaftsgericht am 18.7.1995 den Antrag des Stiefvaters ab. Auf dessen Beschwerde änderte das Landgericht ohne erneute Anhörung der Beteiligten und ohne weitere Ermittlungen mit Beschluß vom 11.10.1995 diese Entscheidung ab, entzog der Mutter die gesamte elterliche Sorge, ordnete Vormundschaft an und wählte den Stiefvater zum Vormund aus. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Mutter. Das beteiligte Mädchen, dem Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, hat erklärt, es wolle beim Vater bleiben und mit der Mutter „auf jeden Fall jeglichen Umgang vermeiden”.
Entscheidungsgründe
II.
Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Gegen die Entziehung des Sorgerechts und die Anordnung der Vormundschaft ist die unbefristete weitere Beschwerde mit dem Ziel der Aufhebung dieser Anordnungen gegeben. Das gilt auch für die Auswahl des Vormunds, da der Stiefvater noch nicht bestellt ist (vgl. § 1789 BGB) und ein Fall des § 60 Abs. 1 Nr. 1 FGG nicht vorliegt (vgl. dazu BayObLG FamRZ 1984, 205/206). Die Mutter ist beschwerdeberechtigt. Dies ergibt sich hinsichtlich der Entziehung der elterlichen Sorge aus § 29 Abs. 4, § 20 Abs. 1 FGG, im übrigen jedenfalls aus § 63, § 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG (Keidel/Kuntze FGG 13. Aufl. § 57 Rn. 35 und 38; Palandt/Diederichsen BGB 55. Aufl. § 1774 Rn. 3 und § 1779 Rn. 8).
2. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt, der Mutter sei das Sorgerecht zu entziehen, weil durch ihr unverschuldetes Versagen das Kindeswohl gefährdet sei. Zwischen Mutter und Kind bestehe eine konfliktreiche Beziehung. Das Kind lehne die Mutter ab. Seit der Trennung der Mutter vom Stiefvater sei das Kind verunsicher...