Entscheidungsstichwort (Thema)

Fernmündliche Einlegung eines Rechtsmittels

 

Leitsatz (redaktionell)

Auch eine fernmündliche Erklärung kann als zur Niederschrift der Behörde oder der Geschäftsstelle des Gerichts abgegeben angesehen werden.

 

Normenkette

StPO § 314 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG München II (Entscheidung vom 25.09.1978)

AG Wolfratshausen (Entscheidung vom 28.11.1977)

 

Tenor

Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Wolfratshausen, Zweigstelle Bad Tölz, hat am 28.11.1977 die Angeklagte von dem Vorwurf zweier rechtlich zusammentreffender Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung (§§ 230, 52 StGB) freigesprochen. Am 2.12.1977 erklärte die Staatsanwaltschaft gegenüber der Geschäftsstelle des Amtsgerichts fernmündlich, daß sie gegen das Urteil Berufung einlege. Der den Anruf entgegennehmende Urkundsbeamte der Geschäftsstelle fertigte hierüber eine Niederschrift, in der er die Person des anrufendes Staatsanwalts und den Inhalt seiner Erklärung wiedergab. Das Landgericht München II hat mit Urteil vom 25.9.1978 auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und die Angeklagte wegen zweier rechtlich zusammentreffender Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung zur Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 45 DM verurteilt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die zulässige Revision der Angeklagten, mit welcher die Verletzung des materiellen Rechts gerügt wird.

II.

Der Senat hat zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob das Landgericht noch über die der Angeklagten zur Last gelegte Straftat urteilen durfte oder ob seiner Entscheidung die Rechtskraft des freisprechenden Urteils des Amtsgerichts entgegenstand. Dies wäre dann der Fall, wenn die Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil nicht form- und fristgerecht Berufung eingelegt hätte.

Nach § 314 Abs. 1 StPO muß die Berufung bei dem Gericht des ersten Rechtszugs binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt werden. Da eine schriftliche Erklärung der Staatsanwaltschaft innerhalb der genannten Frist nicht beim Amtsgericht eingegangen ist, hängt die Zulässigkeit der Berufung davon ab, ob die Berufung gegen ein Strafurteil unter der Voraussetzung, daß hierüber ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Amtsgerichts – wie hier geschehen – eine Niederschrift aufnimmt, auch fernmündlich eingelegt werden kann.

Nach einer früher wohl einhellig und im Bereich anderer Verfahrensordnungen, die ähnliche Bestimmungen enthalten, auch heute noch überwiegend vertretenen Auffassung soll die fernmündliche Einlegung eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs unzulässig sein, da sie weder – was in der Tat nicht ernstlich zweifelhaft sein kann – eine schriftliche Erklärung enthalte noch als zur Niederschrift der Behörde oder der Geschäftsstelle des Gerichts abgegeben angesehen werden könne (RGSt 38, 282; BVerwGE 17, 166; BDH 7, 128; BFH NJW 1965, 174; Eb. Schmidt LehrK StPO § 314 Rdnr. 6; Koehler VerwGO – 1960 – § 124 Anm. V 3; Redeker/v. Oertzen VerwGO 6. Aufl. § 81 Rdnr. 4; Schunck/de Clerk VerwGO 3. Aufl. § 81 Anm. 1 c bb; Sarstedt Die Revision in Strafsachen 4. Aufl. S. 50; Seibert DRiZ 1952, 8). In der Zeit nach dem 1.1.1950 wurde diese Auffassung, und zwar in bezug auf eine Berufungseinlegung vom Oberlandesgericht Hamm in einem Revisionsverfahren ergangenen Urteil vom 4.12.1951 ([1] 2 Ss 538/51; NJW 1952, 276) vertreten, ebenso – freilich im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens – vom Oberlandesgericht Frankfurt in einem Beschluß vom 31.3.1953 (1 Ws 66/53; NJW 1953, 1118). Bei Zugrundelegung dieser Auffassung müßte im vorliegenden Fall auf die Revision des Angeklagten das Berufungsurteil ohne sachliche Überprüfung aufgehoben und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das freisprechende Ersturteil als unzulässig verworfen werden.

Demgegenüber hat sich in der straf- und bußgeldrechtlichen Rechtsprechung und Literatur in den letzten Jahrzehnten immer mehr die Auffassung durchgesetzt, daß auch eine fernmündliche Erklärung als zur Niederschrift der Behörde oder der Geschäftsstelle des Gerichts abgegeben angesehen werden könne, wenn der den Anruf entgegennehmende Beamte oder sonstige Behördenangehörige hierüber eine Niederschrift aufnehme (OLG Schleswig NJW 1963, 1466; OLG Düsseldorf – 1. Strafsenat – NJW 1969, 1361/1362; OLG Celle NJW 1970, 107; OLG Frankfurt DRiZ 1978, 186; Rüth in Müller Straßenverkehrsrecht 22. Aufl. OWiG § 67 Rdnr. 7; Löwe/Rosenberg StPO 23. Aufl., § 42 Rdnr. 11 Wendisch und § 314 Rdnr. 15 Gollwitzer; Kleinknecht StPO 34. Aufl. Einl. RdNr. 137; Göhler OWiG 5. Aufl. § 67 Anm. 3 D; Rebmann/Ftoth/Herrmann OWiG – Stand Januar 1979 – § 62 Rdnr. 17; Rotberg OWiG 5. Aufl. § 67 Rdnr. 5; Gössel Strafverfahrensrecht – 1977 – S. 162; Dahs NJW 1952; 276; Rötelmann Rpfleger 1953, 31 und 251; wohl auch Müller/Sax StPO 6. Aufl. § 314 Anm. 2c; ebenso für den Bereich des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Eyermann/Fröhler VerwGO 7. Aufl. § 81 Anm. 4). Dieser Ansicht ha...

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