Entscheidungsstichwort (Thema)

Testamentsauslegung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei der Auslegung einer letztwilligen Verfügung ist der Wille des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu erforschen.

2. Das Gericht hat den für die Entscheidung erheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (§ 2358 Abs. 1 BGB, § 12 FGG), nicht verletzt. Eine Aufklärungspflicht besteht nur insoweit, als das Vorbringen der Beteiligten und der festgestellte Sachverhalt aufgrund der Tatbestandsvoraussetzungen des materiellen Rechts bei sorgfältiger Überlegung zu weiteren Ermittlungen Anlaß geben. Ist ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten, darf das Gericht aber seine Ermittlungen abschließen.

 

Normenkette

FGG § 12; BGB § 2358 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Ingolstadt (Beschluss vom 17.10.1994; Aktenzeichen 1 T 1554-1558/91)

AG Ingolstadt (Aktenzeichen VI 732/90)

 

Tenor

I. Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 9 gegen den Beschluß des Landgerichts Ingolstadt vom 17. Oktober 1994, berichtigt durch Beschluß vom 17. Januar 1995, wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, daß der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens auf 1.000.000 DM festgesetzt wird.

II. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 330.000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Der im Alter von 79 Jahren verstorbene Erblasser war verwitwet und kinderlos. Die Beteiligte zu 8, seine Halbschwester, sowie die Beteiligten zu 9 bis 15, Abkömmlinge eines Bruders des Erblassers, kommen als gesetzliche Erben in Betracht. Der Erblasser hat ein eigenhändiges Testament vom 11.8.1972 hinterlassen, das folgenden Wortlaut hat:

„Mein letzter Wille ist, daß nach meinem Ableben, meine Frau … die allein Erbin ist. Sollte uns beiden etwas zustoßen, so sind die Alleinerben meine Schwägerin (Beteiligte zu 1) mit den 6 Kindern …”

Die Beteiligten zu 2 bis 7 sind die in dem Testament erwähnten sechs Kinder der Beteiligten zu 1.

Das Nachlaßgericht hat einen Vorbescheid erlassen, in dem es die Erteilung eines Erbscheins angekündigt hat, der die Beteiligten zu 1 bis 7 entsprechend ihrem Antrag als Erben aufgrund Testaments ausweisen soll. Gegen diese Entscheidung haben die Beteiligten zu 9 bis 13 Beschwerde eingelegt. Der Senat hat die dieses Rechtsmittel zurückweisende Entscheidung des Landgerichts mit Beschluß vom 20.7.1993 (1Z BR 63/92) aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf diesen Beschluß Bezug genommen.

Das Landgericht hat zwei Zeugen vernommen und mit Beschluß vom 17.10.1994, berichtigt durch Beschluß vom 17.1.1995, die Beschwerden erneut zurückgewiesen und den Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens auf 2 Mill. DM festgesetzt. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 9.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die in dem Testament vom 11.8.1972 enthaltene letztwillige Verfügung zugunsten der Beteiligten zu 1 bis 7 bedürfe im Hinblick auf die Formulierung „Sollte uns beiden etwas zustoßen” der Auslegung. Diese Auslegung ergebe, der Erblasser habe in dem Testament eine Regelung auch für den Fall treffen wollen, daß er seine Ehefrau überleben sollte. Die Verfügung habe weder unter der Bedingung gestanden, daß sie nur für den Fall gleichzeitigen Versterbens der Eheleute gelten solle, noch habe sie sich nur auf ein Versterben der Eheleute anläßlich der bei der Errichtung konkret bevorstehenden Autofahrt bezogen. Gemäß der Auslegungsregel des § 2091 BGB seien die Beteiligten zu 1 bis 7 zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt.

2. Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs.1 FGG, § 550 ZPO) stand.

a) Das Landgericht hat seine Pflicht, den für die Entscheidung erheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (§ 2358 Abs. 1 BGB, § 12 FGG), nicht verletzt. Eine Aufklärungspflicht besteht nur insoweit, als das Vorbringen der Beteiligten und der festgestellte Sachverhalt aufgrund der Tatbestandsvoraussetzungen des materiellen Rechts bei sorgfältiger Überlegung zu weiteren Ermittlungen Anlaß geben. Ist ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten, darf das Gericht seine Ermittlungen abschließen (BGHZ 40, 54/57). Nach diesen Grundsätzen war es nicht erforderlich, die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen dem Erblasser und den Beteiligten zu 1 bis 7 nach der Testamentserrichtung aufzuklären. Denn bei der Auslegung einer letztwilligen Verfügung ist der Wille des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu erforschen (vgl. BGHZ 112, 229/233; MünchKomm/Leipold BGB 2. Aufl. § 2084 Rn. 21). Hierbei sind zwar auch außerhalb der Verfügung liegende Umstände heranzuziehen (BayObLGZ 1982, 159/164). Voraussetzung ist jedoch, daß diese Umstände der Aufdeckung des Erblasserwillens dienlich sein können (vgl. BGH FamRZ 1987, 475/476), also Rückschlüsse auf den Willen des Erblassers im Zeitpunk...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge