Leitsatz (amtlich)

Ein Mitglied einer (Wohnungs-) Eigentümergemeinschaft, das zugleich Eigentümer des Nachbargrundstücks ist, muss nicht allein aufgrund der aus dem Gemeinschaftsverhältnis fließenden Treue- und Rücksichtnahmepflicht zeitlich unbegrenzt und unentgeltlich erhebliche Eingriffe in sein Nachbargrundstück dulden. Die in der Klageschrift vertretene, bloße Rechtsansicht der klagenden (Wohnungs-) Eigentümergemeinschaft genügt nicht zur Begründung einer wohnungseigentumsrechtlichen Streitigkeit nach § 72 Abs. 2 GVG, § 43 Abs. 2 Nr. 2 WEG.

 

Verfahrensgang

LG Augsburg (Aktenzeichen 042 S 641/23)

LG München I (Aktenzeichen 1 S 498/23 WEG)

AG Augsburg (Aktenzeichen 30 C 3597/22 WEG)

 

Tenor

Funktionell zuständig für das Berufungsverfahren ist das Landgericht Augsburg.

 

Gründe

I. Die Verfügungsklägerin begehrt, die Verfügungsbeklagte durch einstweilige Verfügung zu verpflichten, die Nutzung von in ihrem Eigentum stehenden Grundstücken zu dulden und den Zutritt zu diesen zu gewähren.

Das im Miteigentum der Mitglieder der Verfügungsklägerin stehende Grundstück Gemarkung X, Flurstück XXX, ist mit einem Parkhaus bebaut, dessen Ebenen in Sondereigentum stehen. Die Verfügungsbeklagte hält einen Miteigentumsanteil an dem Gemeinschaftsgrundstück verbunden mit dem Sondereigentum an den Ebenen 1 bis 3, dem sogenannten Hotelparkhaus. Mehrheitseigentümer mit insgesamt 75 % der Miteigentumsanteile an dem Grundstück sind die B.-P. GmbH & Co. KG und die B.-B. GmbH & Co. KG. Die Verfügungsbeklagte ist zudem Eigentümerin der südwestlich des Parkhauses gelegenen Nachbargrundstücke. Auf einem dieser Grundstücke befindet sich ein Heizungskeller, der dem nordöstlich des Parkhauses befindlichen Hotelturm dient und zu dem eine Gas-Hochdruckleitung führt.

In einer Eigentümerversammlung der Verfügungsklägerin wurde am 13. September 2022 mit den Stimmen der Mehrheitseigentümer der Beschluss gefasst, das Parkhaus abzureißen und Sicherungsmaßnahmen für den Heizungskeller durchzuführen. Auf Antrag der Verfügungsbeklagten wurde der Vollzug dieses Beschlusses durch einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Augsburg, Az. 30 C 2868/22 WEG eV, in Bezug auf den Abriss untersagt. Die Stadt Augsburg untersagte mit Bescheid vom 20. September 2022 die Nutzung des Parkhauses, mit Bescheid vom 16. Oktober 2022 zudem das Betreten des Parkhauses inklusive Heizungskeller. In einer außerordentlichen Eigentümerversammlung am 24. November 2022 beantragte die Verfügungsbeklagte einen Beschluss, dass ein Sachverständiger mit der Ermittlung von möglichen Maßnahmen zu Sicherung der Standsicherheit des Parkhauses und zur Erstellung eines Sanierungsplans für das Parkhaus beauftragt werden solle. Die Anträge der Verfügungsbeklagten wurden durch die Mehrheitseigentümer abgelehnt. Die Verfügungsklägerin behauptet, das Parkhaus sei akut einsturzgefährdet. Es bestehe die Gefahr, dass Bauteile auf den Heizungskeller und die im Bereich des Heizungskellers dorthin führende Gas-Hochdruckleitung stürzten. Wenn die Leitung durchschlagen werde, drohe eine Gasexplosion, die auch das Parkhaus zerstöre. Sicherungsmaßnahmen am Parkhaus selbst seien aufgrund des Betretungsverbots, aber auch aus technischen Gründen nicht möglich. Das Anbringen von Netzen könne zu einer Erschütterung des Gebäudes und letztlich zum Einsturz führen. Zusätzliche Stützen im Parkhaus seien zudem unverhältnismäßig teuer. Die Grundstücke der Verfügungsbeklagten seien lediglich eine verwilderte, brachliegende Fläche. Als Sicherungsmaßnahme sei beabsichtigt, zunächst die private Gasleitung vom Übergabeschacht bis zum Eintritt in den Heizungskeller freizulegen, um den genauen Verlauf der Gasleitung erkennen und eine versehentliche Beschädigung vermeiden zu können. Sodann solle die Gasleitung mit ausreichend Erde überdeckt werden. Anschließend sollten ca. 60 große Betonsteine rings um den Heizungskeller gesetzt werden. Auf diese sollten Doppel-T-Stahlträger mit einer Länge von 10 m und einer Breite von 35 cm und darauf Schichtplatten verlegt werden. Die Verfügungsbeklagte sei zur Duldung dieser Maßnahmen auf ihren Grundstücken aus dem Hammerschlags- und Leiterrecht nach Art. 46b BayAGBGB in zumindest analoger Anwendung sowie aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis verpflichtet. Ferner bestehe die Pflicht der Verfügungsbeklagten als Miteigentümerin der Verfügungsklägerin aufgrund ihrer Treue und Rücksichtnahmepflicht. Die Verfügungsklägerin habe die Verkehrssicherungspflicht zu wahren. Die Miteigentümer und damit auch die Verfügungsbeklagte müssten daher die Verfügungsklägerin auf Grund des wohnungseigentumsrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses bei der Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht unterstützen und entsprechende Maßnahmen dulden.

Die Verfügungsklägerin hat daher beantragt, im Wege der einstweiligen Verfügung die Verfügungsbeklagte zu verpflichten, die Nutzung der in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke zur Ausführung von Sicherungsmaßnahmen für den Heizungsraum und die Gasanschlussleitung süd...

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