Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachlaßsache
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Begriff der Testierunfähigkeit
2. Zum notwendigen Umfang der Überprüfung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Testierunfähigkeit durch den Tatsachenrichter.
Normenkette
BGB § 2229 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Landshut (Aktenzeichen 60 T 1398/96) |
AG Landshut (Aktenzeichen VI 1157/95) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2 wird der Beschluß des Landgerichts Landshut vom 24. Juli 2000 aufgehoben.
II. Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Landshut zurückverwiesen.
Gründe
I.
Am 12.10.1995 verstarb die 1913 geborene Erblasserin. Sie war ledig und hatte keine Kinder. Von den gesetzlichen Erben zweiter Ordnung leben bzw. lebten im Zeitpunkt des Erbfalls noch ein Bruder – der Beteiligte zu 1 – sowie eine am 7.4.1999 nachverstorbene Schwester, ferner die Beteiligte zu 2, die Tochter eines vor verstorbenen Bruders, und die zwei Kinder eines anderen vorverstorbenen Bruders, die Beteiligten zu 3 und 4. Zum Nachlaß gehört Grundbesitz; der gesamte Nachlaßwert beträgt rund 375.000 DM.
Die Erblasserin hatte bis Mai 1992 allein in dem ihr gehörenden Haus gelebt. Mit Beschluß des Vormundschaftsgerichts vom 3.6.1992 wurde wegen einer psychotischen Symptomatik – die Erblasserin fühlte sich von fiktiven, im ersten Stock ihres Hauses lebenden und in der Regel nachts aktiven Asylanten und. Zigeunern bedroht und bestohlen und rief deswegen Nachbarn, Verwandte und die Polizei um Hilfe – ihre vorläufige Unterbringung im Bezirkskrankenhaus angeordnet. Mit Beschluß vom 22.6.1992 bestellte ihr das Vormundschaftsgericht aufgrund des Gutachtens eines Nervenarztes, der eine seit etwa 2 Wochen bestehende akute psychotische Erkrankung attestierte, als vorläufigen Betreuer mit dem Aufgabenkreis Sorge für die Gesundheit und Aufenthaltsbestimmung die Betreuungsstelle des Landratsamtes. Mit Beschluß vom 13.8.1992 wurde die Beteiligte zu 2 als Betreuerin bestellt und der Aufgabenkreis um die Vermögens sorge erweitert. Aus dem Bezirkskrankenhaus wurde die Erblasserin am 28.9.1992 entlassen. Anschließend lebte sie bis zu ihrem Tode in einem Alten- und Pflegeheim. Mit Beschluß vom 16.3.1993 verlängerte das Vormundschaftsgericht die bestehende Betreuung und erweiterte sie um den Aufgabenkreis Regelung von Behördenangelegenheiten. In einem zur Vorbereitung dieser Entscheidung eingeholten Gutachten vom 7.3.1993 stellte ein Arzt für Neurologie und Psychiatrie fest, daß bei der Erblasserin die schon früher beobachteten Wahnvorstellungen noch völlig vorhanden seien, daß aber zusätzlich Hirnleistungsstörungen vorlägen, die sich mit der Erkrankung Schizophrenie in keinen sicheren Zusammenhang bringen ließen und die offenbar zum Zeitpunkt der Exploration durch den Nervenarzt noch nicht bestanden hätten.
Das Nachlaßgericht hat ein handgeschriebenes, von der Erblasserin unterzeichnetes Schriftstück als Testament eröffnet, das folgenden Wortlaut hat:
… den 9. September 1991 meine Nichte … (Beteiligte zu 2), mein Vermögen Haus und Bauplatz bekommt. (Nach meinem Tode)
Dieses Schriftstück war von der Beteiligten zu 2 zusammen mit einem Attest des Hausarztes der Erblasserin vom 16.9.1993 eingereicht worden, wonach die Erblasserin „im September 91 voll geschäftsfähig” gewesen sei.
Die Beteiligte zu 2 hat „die Erteilung eines Erbscheins” beantragt. Das Nachlaßgericht gab dem Beteiligten zu 1 und den weiteren als gesetzliche Erben in Betracht kommenden Verwandten der Erblasserin Gelegenheit, zur Gültigkeit des Testaments Stellung zu nehmen. Der Beteiligte zu 1 trat dem Antrag der Beteiligten zu 2 entgegen. Er ist der Meinung, daß die Jahreszahl „1991” und die Worte „meine Nichte” in der ersten Zeile des Testaments nicht von der gleichen Person geschrieben worden seien, die die ersten vier Worte („… den 9. September”) geschrieben habe; das gleiche gelte für den Klammerzusatz „(Nach meinem Tode)”. Auch das Wort „bekommt” sei offensichtlich nachträglich angefügt. Es weise ein völlig anderes Schriftbild auf als der vorhergehende Text. Das Testament sei also nicht insgesamt eigenhändig geschrieben. Der Beteiligte zu 1 hat ferner bestritten, daß das Testament tatsächlich am 9.9.1991 geschrieben worden sei; es sei offen, wann das Testament tatsächlich verfaßt worden sei. Außerdem hat er geltend gemacht, daß die Erblasserin „zum damaligen Zeitpunkt” nicht mehr testierfähig gewesen sei, wie sich bereits aus dem Text ergebe: Das Wort … (Name der Beteiligten zu 2) werde wiederholt; es werde kein grammatikalisch korrekter Satz gebildet; das Schriftbild weiche von dem vorgelegter Schriftproben, die die klare Schrift der Erblasserin zeigten, ab. Die Erblasserin sei zu früheren Zeiten der deutschen Sprache und auch der Schrift mächtig gewesen; sie habe sich sicher ausdrücken können. Form und Inhalt des Testaments zeigten auf, daß die Erblasserin bei seiner Abfassung nicht mehr im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte gewesen sei. Sie sei bereits in den Jahren 1989 und 199...