Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuwiderhandlung gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nach Anhörung der Staatsanwaltschaft

 

Verfahrensgang

AG Kempten (Urteil vom 30.05.1990)

 

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerden des Betroffenen und der Nebenbeteiligten wird das Urteil des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) vom 30. Mai 1990 samt den Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zur neuen Entscheidung an einen anderen Richter der Vorinstanz zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I.

Am 30.5.1990 verhängte das Amtsgericht Kempten (Allgäu) gegen den Betroffenen wegen fortgesetzten gewerbsmäßigen unerlaubten Überlassens von Arbeitnehmern eine Geldbuße von 6.000 DM. Gegen die Nebenbeteiligte, die Firma …, wurde eine Geldbuße von 30.000 DM festgesetzt.

Mit ihren Rechtsbeschwerden rügen der Betroffene und die Nebenbeteiligte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässigen Rechtsmittel greifen mit der allgemeinen Sachrüge durch. Die bisherigen Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch nicht.

Gemäß Art. 1 § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 1 einen Leiharbeitnehmer einem Dritten ohne Erlaubnis überläßt. Nach der Legaldefinition des Art. 1 § 1 Abs. 1 AÜG ist unter Leiharbeiternehmer der Arbeitnehmer des Verleihers zu verstehen. Eine Arbeitnehmerüberlassung nach Art. 1 § 1 Abs. 1 AÜG setzt somit das Bestehen eines echten Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher voraus (BayObLGSt 1981, 66 = GewArch 1981, 306 = BayVBl. 1981, 569; vgl. hierzu ferner. Das Deutsche Bundesrecht VD 22 S. 15; Marschall Bekämpfung illegaler Beschäftigung 1982, S. 13). Ob ein solches Arbeitsverhältnis gegeben ist, ist nach den allgemeinen Grundsätzen des Arbeitsrechts zu beurteilen (Sandmann/Marschall AÜG – Stand Juli 1990 – Art. 1 § 1 Anm. 6; Ambs in Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze AÜG Art. 1 § 1 Anm. 3). Maßgebend sind somit nicht die Bezeichnungen, die die Beteiligten gewählt haben, sondern, ob die objektiven Merkmale eines Arbeitsverhältnisses vorliegen, d.h., ob die fragliche Arbeitskraft in persönlicher Abhängigkeit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich Art, Ort, Zeit und Dauer der Arbeitsleistung untersteht. Von einem echten Arbeitsverhältnis kann nur die Rede sein, wenn es, wie der Senat bereits mehrfach betont hat (BayObLG vom 19.11.1990 – 3 Ob OWi 124/90 und vom 12.1.1989 – 3 Ob OWi 177/88), unabhängig vom Verleihvertrag eingegangen wurde, diesen überdauert und den Verleiher verpflichtet, den Lohn auch dann zu zahlen, wenn der Leiharbeitnehmer zeitweise nicht ausgeliehen werden kann. Typisch für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses ist, daß der Arbeitgeber die arbeits-, steuer- und versicherungsrechtlichen Pflichten sowie das Arbeitgeberrisiko trägt (Art. 1 § 3 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 AÜG). Gerade diese Voraussetzungen liegen nach den bisherigen Feststellungen hinsichtlich der Zeugen … und … offensichtlich nicht vor. Mit ihnen wurden nur freie Mitarbeiterverträge geschlossen (UA S. 16 unten). Umstände, aus denen sich ergibt, daß ein echtes Arbeitsverhältnis mit der Fa. … bestand, sind im Urteil nicht mitgeteilt. Die Tätigkeit der Zeugen für die Fa. … offensichtlich darin, daß sie, angeregt durch die Fa. …, bei der Fa. … Arbeitsleistungen erbrachten. Sozialversicherung, Lohnsteuer etc. wurden für diese Zeugen nicht gezahlt. Hinsichtlich beider Zeugen lag das Weisungsrecht hinsichtlich der Arbeitsgestaltung auch nicht bei der Firma …, sondern bei der „Entleiherfirma …”. Das Amtsgericht führt im Urteil zwar hinsichtlich des Zeugen … an, die Firma … habe die wesentlichen Arbeitgeberpflichten erfüllt (UA S. 9 unten). Insoweit nennt es jedoch lediglich die Lohnzahlung. Der Umstand allein, daß ein Unternehmer die Abrechnung nach geleisteten Arbeitsstunden vornimmt und nach Abzug seines Verdiensts den Lohn an die Arbeitskräfte abführt, begründet kein Arbeitsverhältnis.

Ob zwischen der Zeugin … und der Firma … ein echtes Arbeitsverhältnis vorlag, bleibt ebenfalls offen. Nach den Feststellungen des Urteils war die Zeugin zwischen März und Dezember 1986 bei der Firma … „beschäftigt”. Zwischen März und Dezember 1986 soll sie an die Firma … verliehen worden sein. Es bleibt deshalb zweifelhaft, ob hier das „Arbeitsverhältnis” nur für die Verleihdauer eingegangen wurde und die Zeugin deshalb in Wirklichkeit gar nicht echte Arbeitnehmerin der Firma … war. Ähnliches gilt hinsichtlich der Zeugin …. Auch insoweit läßt das Urteil offen, ob ein „Arbeitsverhältnis” mit der Firma … nur während der Verleihzeit bestand und deshalb die Zeugin gar nicht Arbeitnehmerin der Firma … wurde.

Eine Zuwiderhandlung gegen Art. 1 § 1 und § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG liegt nicht vor, wenn eine Arbeitsvermittlung gegeben ist (§§ 13, 228 Abs. 1 Nr. 2 AFG). Unter Arbeitsvermittlung im Sinn des Arbeitsförderungsgesetzes ist nach der Legaldefinition des § 13 Abs. 1 dieses Gesetzes u.a. die Tätigkeit zu verstehen, die darauf gerichtet ist, Arbeitssuchende mit Arbeitgebern zur Be...

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