Leitsatz (amtlich)
Die internationale Zuständigkeit für eine Klage gegen eine in der Schweiz ansässige Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, mit der ein in Deutschland wohnhafter Unfallgeschädigter Schadenersatz wegen eines Verkehrsunfalls in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union fordert, richtet sich unbeschadet des Umstands, dass die Klage im Inland unter der Adresse der als "Direktion für Deutschland" bezeichneten Organisationseinheit zugestellt werden kann, nach dem Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 (LugÜ).
Verfahrensgang
LG Passau (Aktenzeichen 3 O 939/23) |
Tenor
Als für den Rechtsstreit (örtlich) zuständiges Gericht wird das Landgericht Passau bestimmt.
Gründe
I. Der im Bezirk des Landgerichts Passau wohnhafte Antragsteller verlangt mit seiner bei diesem Gericht erhobenen Klage von den Antragsgegnern als Gesamtschuldnern Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am 27. September 2023 in Slowenien zugetragen hat.
Das vom Antragsgegner zu 2) gesteuerte Wohnmobil ist bei der Antragsgegnerin zu 1) haftpflichtversichert. Die Antragsgegnerin zu 1) ist eine Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht mit Gesellschaftssitz in St. Gallen/Schweiz und einer im Handelsregister B des Amtsgerichts Frankfurt am Main eingetragenen Zweigniederlassung. Der Antragsgegner zu 2) ist im Bezirk des Landgerichts Stuttgart wohnhaft.
Die Antragsgegner rügten bereits in ihrer Verteidigungsanzeige und nochmals mit der Klageerwiderung die örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts, das seinerseits mit der Anordnung eines schriftlichen Vorverfahrens den Hinweis erteilt hatte, für die Klage nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung und der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel-Ia-VO) örtlich nicht zuständig zu sein.
Daraufhin hat der Antragsteller beim Bayerischen Obersten Landesgericht den Antrag gestellt, für den Rechtsstreit das Landgericht Passau, hilfsweise das Landgericht Stuttgart und wiederum hilfsweise das Landgericht Frankfurt am Main als zuständiges Gericht zu bestimmen.
Im Verfahren der Gerichtsstandsbestimmung sind die Parteien darauf hingewiesen worden, dass in Bezug auf die Antragsgegnerin zu 1) nach dem insoweit maßgeblichen Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 (LugÜ) das Landgericht Passau international und örtlich zuständig sei, ein gemeinsamer inländischer Gerichtsstand für den Rechtsstreit nicht bestehe und das im Rahmen der Gerichtsstandsbestimmung grundsätzlich bestehende gerichtliche Auswahlermessen eingeschränkt sei, weil der Anwendungsvorrang des Luganer Übereinkommens auch im Bestimmungsverfahren zu beachten sei. Sie haben Gelegenheit erhalten, Tatsachen vorzutragen, die für die rechtliche Einordnung der "Direktion für Deutschland" der Antragsgegnerin zu 1) als Niederlassung gemäß dem autonomen Rechtsverständnis des Luganer Übereinkommens und für die Frage bedeutsam sein können, ob es sich um eine Streitigkeit aus dem Betrieb dieser Niederlassung handelt. Wegen der Einzelheiten wird ergänzend auf den Hinweis vom 8. März 2024 Bezug genommen.
Die Antragsgegner haben hierzu angemerkt, es möge nach Aktenlage entschieden werden. Der Antragsteller hat geltend gemacht, allein die Bestimmung des Landgerichts Passau komme in Betracht; eine solche erscheine auch zweckmäßig.
II. Auf den zulässigen Antrag bestimmt der Senat das Landgericht Passau als das für den Rechtsstreit gegen beide Antragsgegner (örtlich) zuständige Gericht.
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist nach § 36 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 9 EGZPO für das Bestimmungsverfahren zuständig, weil die Antragsgegner ihren jeweiligen inländischen (allgemeinen oder besonderen) Gerichtsstand in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken haben, und daher das gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle entscheidet das Bayerische Oberste Landesgericht, weil durch die Einreichung der Klageschrift beim Landgericht Passau ein bayerisches Gericht zuerst mit der Sache befasst worden ist (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 36 Rn. 8).
Der allgemeine Gerichtsstand des Antragsgegners zu 2) richtet sich gemäß §§ 12, 13 ZPO nach dessen Wohnsitz und befindet sich im Bezirk des Oberlandesgerichts Stuttgart.
Die Antragsgegnerin zu 1) verfügt im Inland über keinen allgemeinen Gerichtsstand, weil sie nicht in Deutschland ansässig ist. Sie ist eine Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht mit Gesellschaftssitz in St. Gallen/Schweiz, mithin in einem durch das Luganer Übereinkommen gebundenen Vertragsstaat. Gemäß Art. 60 LugÜ haben Gesellschaften und juristische Personen für die Anwendung dieses ...