Leitsatz (amtlich)

Die durch wirksame Prozesshandlung in das Verfahren eingeführte ausdrückliche Erklärung der beklagten Partei, sich vor dem angerufenen Gericht rügelos einzulassen, führt im Anwendungsbereich des Art. 24 LugÜ II zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, die einer Verweisung an das an sich zuständige Gericht entgegensteht.

 

Normenkette

LugÜ II Art. 24

 

Verfahrensgang

AG München (Aktenzeichen 211 C 10520/22)

AG Nauen (Aktenzeichen 12 C 85/22)

 

Tenor

Örtlich zuständig ist das Amtsgericht München.

 

Gründe

I. Mit seiner zum Amtsgericht München eingereichten Klage verlangt der Kläger aus eigenem und abgetretenem Recht von der Beklagten, einer Aktiengesellschaft mit Hauptsitz in Genf, Zahlung eines Betrags in Höhe von 4.636,00 EUR zuzüglich Zinsen und vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten. Zur Begründung trägt er vor: Er habe bei der Beklagten für sich und drei weitere Personen eine Kreuzfahrt für den Zeitraum vom 9. bis 26. März 2020 gebucht und das hierfür vereinbarte Entgelt bezahlt. Wegen erheblicher Leistungseinschränkungen bei der Durchführung der zudem vorzeitig abgebrochenen Reise habe die Beklagte Gutscheine über 1.159,00 EUR pro Person mit einer Gültigkeitsdauer bis Dezember 2021 erteilt. Nachdem die Beklagte die bei ihr sodann gebuchte Kreuzfahrt, für die die Gutscheine eingesetzt worden seien, storniert habe, habe sie lediglich den Aufpreis erstattet, trotz mehrfacher Mahnungen und Fristsetzungen jedoch nicht den Wert der Gutscheine in Höhe von insgesamt 4.636,00 EUR.

Der Kläger und zwei Zedenten sind im Bezirk des Amtsgerichts Nauen, der weitere Zedent ist im Bezirk des Amtsgerichts Charlottenburg wohnhaft.

Mit Verfügung vom 27. September 2022 ordnete das Amtsgericht die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens an und wies auf seine örtliche Unzuständigkeit hin. Die Zuständigkeit bestimme sich nach dem Luganer Übereinkommen 2007. Gemäß Art. 16 Abs. 1 des Übereinkommens könne ein Verbraucher am Ort seines Wohnsitzes ("hier: Landshut") Klage gegen den Vertragspartner erheben. Das hiesige Gericht werde jedoch nach Art. 24 des Übereinkommens zuständig, wenn sich die Beklagte zur Sache einlasse, ohne die Unzuständigkeit geltend zu machen. Das Amtsgericht gab Gelegenheit zur Stellungnahme und fragte an, ob der Kläger Verweisungsantrag stelle.

Nach Klagezustellung am 30. September 2022 zeigte die Beklagte mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 4. Oktober 2022 an, sie wolle sich gegen die Klage verteidigen und lasse sich vor dem Amtsgericht München rügelos ein.

Nachdem der Kläger auf seinen Wohnsitz hingewiesen und einen Verweisungsantrag an das Amtsgericht Nauen angekündigt hatte, teilte das Gericht mit Verfügung vom 10. Oktober 2022 mit, eine rügelose Einlassung liege bislang nicht vor und eine Verweisung auf Antrag sei noch möglich. Daraufhin beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2022 Verweisung an das Amtsgericht Nauen. Die Beklagte erklärte mit Schriftsatz ebenfalls vom 11. Oktober 2022, sie beantrage, die Klage kostenpflichtig abzuweisen; die Begründung erfolge innerhalb der Klageerwiderungsfrist in einem gesonderten Schriftsatz; sie lasse sich rügelos vor dem Amtsgericht München ein.

Mit Beschluss vom 12. Oktober 2022 erklärte sich das Amtsgericht München für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht Nauen. Für den Rechtsstreit sei gemäß Art. 15 Abs. 1 Buchst. c), Art. 16 Abs. 1 Luganer Übereinkommen das Gericht am Wohnsitz des Verbrauchers örtlich zuständig; es sei gerichtsbekannt, dass die Beklagte ihre Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des (klagenden) Verbrauchers ausrichte. Eine rügelose Einlassung sei nach der maßgeblichen lex fori noch nicht erfolgt. Als Einlassung sei jedes Verteidigungsvorbringen zu werten, das unmittelbar auf die Abweisung der Klage ziele und erfolge, ohne zugleich "die fehlende internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts" zu rügen. Keine rügelose Einlassung stellten Handlungen dar, die eine Verteidigung gegen die Klage nur vorbereiteten oder ihr vorgelagert seien, so etwa die Anzeige der Verteidigungsbereitschaft.

Die Beklagte äußerte gegenüber dem Amtsgericht Nauen, sie halte die Verweisung für nicht wirksam. Da sie bereits einen Antrag auf Klageabweisung "gestellt" habe, habe sie sich rügelos eingelassen.

Mit Beschluss vom 6. Dezember 2022 lehnte das Amtsgericht Nauen die Übernahme des Rechtsstreits ab und legte die Sache dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor. Das Amtsgericht Nauen sei unzuständig. Der Verweisungsbeschluss missachte den Akteninhalt und binde wegen Willkür nicht, denn die Beklagte habe in zwei Schriftsätzen erklärt, sich vor dem Amtsgericht München rügelos einzulassen, und sich jedenfalls mit ihrem Schriftsatz vom 11. Oktober 2022 auch tatsächlich rügelos eingelassen.

Die Parteien haben im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Beklagte hat ihre Ansicht wiederholt, wonach sie sich bereits bei dem Amtsgerich...

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