Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeitsbestimmung
Leitsatz (amtlich)
Ein Verweisungsbeschluss kann als willkürlich und daher nicht bindend zu werten sein, wenn das verweisende Gericht trotz des Auslandsbezugs der Streitsache, der wegen des in der Schweiz liegenden Sitzes der beklagten Partei auf der Hand liegt, ausschließlich auf Zuständigkeitsvorschriften des nationalen Prozessrechts abstellt, ohne die sich aufdrängende Frage ihrer Anwendbarkeit zu thematisieren und ohne vorrangige staatsvertragliche Regelungen auch nur zu erwähnen.
Normenkette
BGB § 651a; EGZPO § 9; EuGVÜ Art. 17; LugÜ Art. 15 Abs. 3, Art. 23 Abs. 1; ZPO §§ 17, 29, 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, § 38 Abs. 3 Nr. 1, § 504
Verfahrensgang
AG München (Aktenzeichen 133 C 65258/20) |
Tenor
1. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 13. Mai 2020 ist nicht bindend.
2. Örtlich zuständig für die weitere Behandlung der Streitsache ist das Amtsgericht München, dem es vorbehalten bleibt, nach Durchführung der erforderlichen Aufklärung zur örtlichen Zuständigkeit den Rechtsstreit an das gegebenenfalls ausschließlich zuständige Wohnsitzgericht zu verweisen.
Gründe
I. Mit seiner zum Amtsgericht München erhobenen Klage verlangt der Kläger von der Beklagten, einer Aktiengesellschaft mit Hauptsitz in Genf, Rückerstattung des Reisepreises wegen einer ausgefallenen Pauschalreise.
Er trägt zum Sachverhalt vor: Er habe im Mai 2019 bei der Beklagten eine Mittelmeer-Kreuzfahrt nebst Flug gebucht. Der Hinflug habe von Hamburg über Frankfurt a. M. nach Barcelona stattfinden sollen, wo das Schiff am 19. März 2020 hätte ablegen sollen. Der Rückflug sei für den 26. März 2020 von Barcelona nach Hamburg vorgesehen gewesen. Nachdem er die Reise am 3. März 2020 storniert und die Beklagte die Kreuzfahrt letztendlich abgesagt habe, sei der bereits geleistete Reisepreis nicht einmal in Höhe des nach den Stornobedingungen geschuldeten Betrags rückerstattet worden.
Für die Beklagte benannte der Kläger unter Hinweis auf deren Allgemeine Geschäftsbedingungen eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in München als Zustellungsbevollmächtigte. Dort wurde die Klage am 8. Mai 2020 zugestellt.
Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten besagen unter Ziff. 17 "Rechtswahl, Gerichtsstandsvereinbarung und Generalklausel" unter anderem:
"Klagen gegen ... [die Beklagte] sind bei dem für den Sitz der Zustellbevollmächtigten ... in München örtlich und sachlich zuständigen Gericht zu erheben, sofern keine zwingenden gesetzlichen Vorschriften oder internationale Übereinkommen etwas anderes vorschreiben."
Mit Verfügung vom 6. Mai 2020 ordnete das Amtsgericht München die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens sowie die Klagezustellung an; zugleich erteilte das Gericht "gemäß § 504 ZPO" den Hinweis, dass es für den Rechtsstreit örtlich nicht zuständig sei, jedoch zuständig werde, wenn die beklagte Partei mündlich zur Hauptsache verhandele, ohne die Unzuständigkeit des Gerichts zu rügen. Gemäß § 17 ZPO komme es auf den Sitz der beklagten Partei an, nicht auf denjenigen eines Zustellungsbevollmächtigten. Dessen Sitz im Bezirk des angerufenen Gerichts sei daher nicht maßgeblich. Auch nach § 29 ZPO sei keine Zuständigkeit des Amtsgerichts München begründet. Zur Bestimmung des Erfüllungsorts könne bei Reiseverträgen auf den Abflug- und Ankunftsort abgestellt werden. Daher werde angefragt, ob eine Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Hamburg beantragt werde.
Beide Parteien erhielten Gelegenheit zur Äußerung auf diesen Hinweis binnen zwei Wochen.
Mit Schriftsatz vom 7. Mai 2020 stellte der Kläger Verweisungsantrag. Die Beklagte zeigte mit Schriftsatz vom 12. Mai 2020 ihre Absicht an, sich gegen die Klage zu verteidigen, behielt sich Anträge und deren Begründung in einem gesonderten Schriftsatz vor und erklärte ihr Einverständnis mit einer Verweisung an das Amtsgericht Hamburg. Eine weitergehende Einlassung auf den Rechtsstreit erfolgte seitens der Beklagten noch nicht.
Mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 13. Mai 2020 erklärte sich das Amtsgericht München für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit antragsgemäß an das Amtsgericht Hamburg. Entsprechend dem erteilten Hinweis ist die Verweisung darauf gestützt, dass beim angegangenen Gericht keine Zuständigkeit nach §§ 17, 29 ZPO ersichtlich sei. Der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten richte sich nicht nach dem Sitz ihrer Zustellungsvertreterin. Der Erfüllungsort liege nicht im Bezirk des angerufenen Gerichts. Gemäß der Kommentierung bei Zöller, ZPO, § 29 Rn. 25.46 könne zur Bestimmung des Erfüllungsorts bei Reiseverträgen auf den Abflug- und Ankunftsort abgestellt werden. Dieser begründe die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamburg.
Das Amtsgericht Hamburg wies die Parteien darauf hin, es beabsichtige, sich gleichfalls für unzuständig zu erklären und die Sache zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorzulegen.
Der Kläger hielt eine Vorlage nicht für erforderlich. Der Verweisungsbeschluss entfal...