Leitsatz (amtlich)
Die Widerrufswirkung der Rücknahme eines notariellen Testaments aus der amtlichen Verwahrung tritt wegen der gesetzlichen Fiktion der Widerrufsabsicht unabhängig von dem Willen des Erblassers ein.
Normenkette
BGB §§ 2078, 2256
Verfahrensgang
LG Deggendorf (Beschluss vom 10.08.2004; Aktenzeichen 1 T 76/04) |
AG Deggendorf (Beschluss vom 12.05.2004; Aktenzeichen VI 668/03) |
Tenor
I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des LG Deggendorf v. 10.8.2004 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligte zu 1) hat die dem Beteiligten zu 2) im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.
III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 15.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der 2003 im Alter von 73 Jahren verstorbene Erblasser war in zweiter Ehe mit der Beteiligten zu 1) verheiratet. Die Beteiligten zu 2) bis 7 sind seine aus erster Ehe stammenden Kinder sowie ein Adoptivkind.
Am 8.7.1988 errichtete der Erblasser ein notarielles Testament, in dem er die Beteiligte zu 1) als Alleinerbin einsetzte. Dieses Testament wurde amtlich verwahrt, bis es am 8.3.1993 dem Erblasser persönlich zurückgegeben wurde. Aufzeichnungen über die Rückgabe sind wegen zwischenzeitlich erfolgter Ausscheidung der Akten nicht vorhanden. Das Original des notariellen Testaments wurde von der Beteiligten zu 1) in den Dokumenten des Erblassers gefunden und in folgendem beschädigten Zustand dem Nachlassgericht übergeben: in vier Teile zerschnitten, anschließend wieder geklebt, am linken oberen und unteren Rand fehlt jeweils eine ca. 9 cm × 4 cm große abgerissene Ecke.
Den Antrag der Beteiligten zu 1) auf Erteilung eines Alleinerbscheins wies das AG Deggendorf mit Beschluss v. 12.5.2004 zurück. Zur Begründung führte es an, dass das notarielle Testament infolge Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung als widerrufen gelte; der Widerruf sei nicht innerhalb der vom AG gesetzten Frist angefochten worden.
Die Beteiligte zu 1) hat diesen zurückweisenden Beschluss des AG mit der Beschwerde angefochten. Zur Begründung führt sie an, sie vermute, dass der Erblasser sich über die Wirkung der Rücknahme nicht im Klaren war und diese auch nicht gewollt habe. Es könne nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass die Belehrung über die Rücknahmefolgen tatsächlich erfolgt sei.
Mit Beschluss v. 10.8.2004 wies das LG die Beschwerde der Beteiligten zu 1) zurück. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1), mit der sie ihren Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins weiterverfolgt.
II. Die weitere Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1. Das LG hat im Wesentlichen ausgeführt:
Das ursprünglich wirksame notarielle Testament gelte durch die Rücknahme seitens des Erblassers als widerrufen, da eine Verletzung der Belehrungspflicht nicht nachgewiesen sei und außerdem auch bei unterlassener Belehrung die Widerrufswirkung bestehen bleibe. Die Anfechtung der Widerrufserklärung sei nicht wirksam, weil die Beteiligte zu 1) das Unterlassen der Belehrung nicht nachgewiesen habe; auch lasse die Beschädigung des Testaments keine Rückschlüsse auf die Kenntnis des Erblassers hinsichtlich der Rückgabefolgen zu.
2. Die Entscheidung des LG hält der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).
a) Zutreffend hat das LG angenommen, dass das notarielle Testament v. 8.7.1988 durch Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung widerrufen worden ist (§ 2256 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Widerrufswirkung der Rücknahme eines notariellen Testaments aus der amtlichen Verwahrung tritt wegen der gesetzlichen Fiktion der Widerrufsabsicht unabhängig von dem Willen des Erblassers ein (Hagena in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 2256 Rz. 9). Die von der Beteiligten zu 1) vermutete Verletzung der Belehrungspflicht hat auf die Widerrufswirkung keine Auswirkung, denn selbst bei deren Verletzung - die hier nicht festgestellt ist - bliebe die Widerrufswirkung bestehen (Hagena in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 2256 Rz. 10; Staudinger/Baumann, BGB, Neubearb. 2003, § 2256 Rz. 22).
b) Das LG hat auch zu Recht eine wirksame Anfechtung (§ 2078 BGB) des in der Form des § 2256 Abs. 1 S. 1 BGB bewirkten Widerrufs verneint, da ein Irrtum des Erblassers über die Widerrufswirkung der Rückgabe nicht festgestellt ist. Es ist schon kein tatsächlicher Anhaltspunkt dafür vorhanden, dass der Erblasser über die Rückgabe des Testaments etwa nicht belehrt worden wäre; insb. kann dies nicht aus den Fragmenten des beschädigten Originaltestaments geschlossen werden. Auch im Übrigen weist die Würdigung des LG keinen Rechtsfehler auf.
Da das notarielle Testament wirksam widerrufen worden ist und eine andere Verfügung von Todes wegen nicht vorliegt, tritt gesetzliche Erbfolge ein, was eine Alleinerbenstellung der Beteiligten zu 1) wegen des gesetzlichen Erbrechts der Beteiligten zu 2) bis 7 ausschließt.
3. Wer die Gerichtskosten zu tragen hat, ergibt sich unmittelbar aus der Kostenordnung; hierzu bedarf es keiner Entscheidung. Die Anord...