Leitsatz (amtlich)
In Verfahren zur Entziehung der elterlichen Sorge hat das Beschwerdegericht die sorgeberechtigten Eltern jedenfalls dann erneut anzuhören, wenn sich seit der Anhörung durch das Vormundschaftsgericht der Verfahrensgegenstand geändert hat (hier: Erstreckung des Verfahrens auf ein weiteres Kind) und sich wesentliche neue Erkenntnisse ergeben haben.
Normenkette
FGG § 50a
Verfahrensgang
LG Deggendorf (Beschluss vom 07.03.1995; Aktenzeichen T 4/95) |
AG Deggendorf (Aktenzeichen X 104/94) |
Tenor
I. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 wird der Beschluß des Landgerichts Deggendorf vom 7. März 1995 aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Deggendorf zurückverwiesen.
III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 5.000 DM festgesetzt.
IV. Den Beteiligten zu 1 und 2 wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde rückwirkend zum 28. März 1995 Prozeßkostenhilfe bewilligt. Ihnen wird Rechtsanwalt G. beigeordnet.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten zu 1 und 2 sind die Eltern der beiden ehelichen Kinder Sabine und Diana. Sie waren zunächst ohne festen Wohnsitz. Anfang des Jahres 1993 bezogen sie eine kleinere Wohnung, seit Anfang 1995 leben sie in einer Vier-Zimmer-Mansardenwohnung.
Während der Zeit ihrer Nichtseßhaftigkeit hatten die Eheleute vier Kinder zur Adoption freigegeben. Ihr fünftes Kind, die im Juni 1993 geborene Sabine, verblieb bei ihnen. Nach der Geburt der Tochter Diana im Juli 1994 beantragte das Kreisjugendamt, den Eheleuten die elterliche Sorge für dieses Kind zu entziehen. Die Eheleute seien mit der Erziehung und Versorgung eines weiteren Kindes überfordert. Auch sei mit dem Ehemann eine Zusammenarbeit nicht möglich. Das neugeborene Kind solle in einer Pflegestelle untergebracht werden. Der Vormundschaftsrichter hörte die Eltern bei einem Hausbesuch am 21.7.1994 an und brachte das Ergebnis der Anhörung dem Kreisjugendamt zur Kenntnis. Eine Entscheidung traf er zunächst nicht.
Im September 1994 beantragte das Kreisjugendamt erneut die Entziehung der elterlichen Sorge, nunmehr für beide Kinder. Die Eheleute seien, wie auch die Erfahrungen anläßlich einer im August 1994 eingesetzten Familienhilfe gezeigt hätten, nicht in der Lage, für die Kinder angemessen zu sorgen. Ein weiteres Verbleiben der Kinder in der Familie sei nicht zu verantworten. Das Vormundschaftsgericht holte zur Frage der Erziehungsfähigkeit der Eheleute sowie der altersgemäßen Entwicklung der beiden Kinder ein Sachverständigengutachten ein. Mit Beschluß vom 10.1.1995 entzog es den Eheleuten das Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder und übertrug es auf das Kreisjugendamt.
Der Beschwerde der Beteiligten zu 2 gegen diesen Beschluß half das Vormundschaftsgericht nicht ab. Das Landgericht erholte einen weiteren Bericht des Kreisjugendamts und wies die Beschwerde mit Beschluß vom 7.3.1995 zurück. Gegen diese Entscheidung haben die Beteiligten zu 1 und 2 weitere Beschwerde eingelegt. Außerdem haben sie beantragt, ihnen zur Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens Prozeßkostenhilfe zu bewilligen. Das Kreisjugendamt hat die Kinder nach Erlaß der landgerichtlichen Entscheidung in einer Pflegefamilie untergebracht. Zu dem Rechtsmittel hat es sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Das Landgericht hat ausgeführt:
Aufgrund der bisherigen Ermittlungen bestünden hinreichende Anhaltspunkte, daß das Wohl der beiden Kinder durch dauernde Vernachlässigung gefährdet sei. Die Eltern beschäftigten sich nicht oder nur völlig unzureichend mit den Kindern. Dies führe nach dem Gutachten des Sachverständigen zu ernsthaften Entwicklungsstörungen und zur Gefahr von Hospitalisationsschäden. Der Umstand, daß sich die Eltern nicht hinreichend um die Kinder kümmerten, obwohl sie nicht berufstätig seien und daher über die erforderliche Zeit verfügten, zeige, daß sie zu der Erziehung und Betreuung nicht in der Lage seien. Der Umzug in eine größere Wohnung ändere an dieser Situation nichts. Die „vorläufige” Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts sei auch erforderlich. Nur auf diese Weise sei sichergestellt, daß die Kinder hinreichende Zuwendung erhielten. Mildere Maßnahmen insbesondere in Form öffentlicher Hilfen, z.B. durch Förderung der Erziehung in der elterlichen Familie, erschienen nicht ausreichend. Ein entsprechender Versuch sei fehlgeschlagen.
2. Die Beschwerdentscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) nicht stand. Sie ist von einem Verfahrensfehler beeinflußt und muß daher aufgehoben werden.
a) Gemäß § 50a Abs. 1 Satz 3 FGG sind in den Fällen der §§ 1666 und 1666a BGB die sorgeberechtigten Eltern der von der Maßnahme (hier der Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts) betroffenen Kinder stets persönlich, d.h. mündlich (BayObLGZ 1980, 215/218), anzuhören, um mit ihnen zu klären, wie die Gefährdung...