Leitsatz (amtlich)
1. Ein Eigentümerbeschluss, durch den einem Wohnungseigentümer der Anbau eines Balkons gestattet wird, ist nicht nichtig.
2. Das ausschließliche Nutzungsrecht des Wohnungseigentümers, zu dessen Wohnung ein Balkon gehört, folgt nicht aus der Einräumung eines Sondernutzungsrechts, sondern bei nachträglichem Anbau aus der Natur der Sache.
Normenkette
WEG § 16 Abs. 3, § 22 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Regensburg (Beschluss vom 25.07.2003; Aktenzeichen 7 T 200/03) |
AG Straubing (Aktenzeichen 1 UR II 3/03) |
Tenor
I. Die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des LG Regensburg vom 25.7.2003 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
III. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 4.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragstellerin, der Antragsgegner und die weitere Beteiligte sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage.
Auf einer vom Antragsgegner einberufenen Eigentümerversammlung beschlossen die Wohnungseigentümer in Abwesenheit der Antragstellerin am 31.5.2002, dem Antragsgegner die Errichtung eines Balkons zu genehmigen. Dieser Beschluss blieb unangefochten.
Mit einem am 16.1.2003 beim AG Straubing eingegangenen Schriftsatz beantragte die Antragstellerin, den Antragsgegner zu verpflichten, es zu unterlassen, an der Hausfassade einen Balkon anzubringen. Das AG hat den Antrag mit Beschluss vom 1.4.2003 abgewiesen. Gegen diesen Beschluss legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde ein. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens wurde der Balkon errichtet. Die Antragstellerin stellte im Beschwerdeverfahren ihren Antrag auf Beseitigung des Balkons um. Das LG hat die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 25.7.2003 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin.
II. Das zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Das LG hat ausgeführt:
Dem Beseitigungsverlangen stehe der Eigentümerbeschluss vom 31.5.2002 entgegen. Dieser Beschluss sei zwar wegen fehlerhafter Einberufung anfechtbar gewesen, eine Beschlussanfechtung sei jedoch nicht erfolgt. Der Beschluss sei nicht nichtig, da auch nach der neueren Rspr. des BGH der Eigentümerversammlung eine Beschlusskompetenz hinsichtlich baulicher Veränderungen zustehe. Auch sonstige Nichtigkeitsgründe seien nicht ersichtlich.
2. Die Entscheidung des LG hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Zutreffend ist das LG davon ausgegangen, dass ein Einberufungsmangel nicht zur Nichtigkeit, sondern lediglich zur Anfechtbarkeit eines Beschlusses führt (allg. Meinung; vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 62. Aufl., § 24 WEG Rz. 3).
b) Der Beschluss ist auch nicht deshalb nichtig, weil eine bauliche Veränderung genehmigt wurde. Der BGH hat eine Nichtigkeit von Beschlüssen über bauliche Änderungen ausdrücklich verneint, weil insoweit der Eigentümerversammlung eine Beschlusskompetenz zusteht (BGH v. 20.9.2000 – V ZB 58/99, MDR 2000, 1367 = NJW 2000, 3500).
c) Der Beschluss ist auch nicht deshalb nichtig, weil er dem Antragsgegner ein Sondernutzungsrecht an dem Balkon einräumen würde.
Ein Sondernutzungsrecht ist u.a. dadurch gekennzeichnet, dass die übrigen Wohnungseigentümer von der Mitbenutzung des Gegenstands ausgeschlossen werden (vgl. ausführlich Häublein, Sondernutzungsrechte und ihre Begründung im Wohnungseigentumsrecht, S. 1 ff. m.w.N.). An einem Ausschluss der übrigen Wohnungseigentümer von einer gegebenen Gebrauchsmöglichkeit fehlt es aber bereits deshalb, weil die übrigen Wohnungseigentümer nie ein Recht zur Benutzung des Balkons hatten.
Die ausschließliche Nutzungsbefugnis des Antragsgegners ergibt sich vielmehr aus der Natur der baulichen Veränderung und unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 16 Abs. 3 Halbsatz 1 WEG. Dabei kann es dahinstehen, ob § 16 Abs. 3 Halbsatz 1 WEG auf die Nutzungsmöglichkeit, die durch eine bauliche Veränderung geschaffen wird, unmittelbar anzuwenden ist (vgl. hierzu Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 22 Rz. 258 m.w.N.). Jedenfalls ist es dem Gesetz nicht fremd, dass jemand von Vorteilen ausgeschlossen wird, die durch eine bauliche Änderung geschaffen werden, an denen der Ausgeschlossene nicht beteiligt ist.
Ein rechtmäßiger Anbau eines Balkons, der nur von einer Wohnung aus betreten werden kann, hat es nach der Natur der baulichen Veränderung zur Folge, dass nur diesem Wohnungseigentümer ein Benutzungsrecht zusteht. Balkone gehören nach der Verkehrsauffassung zu der Wohnung, von der sie aus betreten werden können. § 44 Abs. 2 II. BV geht davon aus, dass Balkone zu den Wohnungen gehören. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Entwurfs einer Wohnflächenverordnung gehören zur Wohnfläche auch die Grundflächen von Balkonen, wenn sie ausschließlich zu der Wohnung gehören. Darüber hinaus wird der zulässige Mitgebrauch durch alle Wohnungseigentümer auch durch die Lage und Beschaffenheit bestimmt (vgl. BayObLGZ 2001, 25; OLG Hamburg WuM 2001, 618; OLG Hamm ZMR 2001, 221 jeweils zu Spitzböden)...