Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsbeschwerde. Zulassung. Zulassungsrechtsbeschwerde. Rechtsfortbildung. Bußgeld. Bußgeldbewehrung. Sachrüge. Urteilsaufhebung. Infektionsschutz. Corona. Corona-Pandemie. Gesundheitsschutz. Betriebsverfassungsrecht. 3G-Regelung. Maskenpflicht. Mund-Nasen-Schutz. Mindestabstand. Kontaktbeschränkung. Zusammenwirken. Arbeit. Arbeitsweg. Arbeitsplatz. Arbeitsstätte. Arbeitsschutz. Transporter. Fahrzeug. Transportfahrzeug. Firmenfahrzeug. Dienstfahrzeug. Insasse. Mitfahrer. Baustelle. Bestimmtheitsgrundsatz. Analogie. Analogieverbot. Wortsinn. Wortlaut. Sinngrenze. Regelungslücke. Verjährung. Verkehrsfläche. Begegnungsfläche. Schuldform. Vorsatz. Fahrlässigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Maskenpflicht am Arbeitsplatz bzw. an der Arbeitsstätte dient dem Arbeitsschutz. Deshalb sind die Begriffe der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes in der 9. BayIfSMV entsprechend der Begrifflichkeit im Arbeitsschutzgesetz und der Arbeitsstättenverordnung zu verstehen.
2. Ein Firmenfahrzeug, das von Mitarbeitern für die Fahrt zu einer Baustelle genutzt wird, ist nicht als Arbeitsplatz oder Arbeitsstätte i.S.v. § 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV anzusehen. Eine weitergehende Auslegung überschreitet die Grenze des möglichen Wortsinns und widerspricht den Begriffsdefinitionen aus arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 2; IfSG § 28 Abs. 1, §§ 28a, 28b Abs. 1, § 32 S. 1, § 73 Abs. 1a Nr. 24, Abs. 2; ArbSchG § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 1; ArbStättV § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 2, 4; OWiG §§ 3, 17 Abs. 2, § 31 Abs. 2 Nr. 2, § 33 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 9, § 79 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1, Abs. 6, § 80 Abs. 1 Nr. 1, § 80a Abs. 3; StPO § 267 Abs. 1, § 353
Verfahrensgang
AG Amberg (Entscheidung vom 13.07.2023) |
Tenor
I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Amberg vom 13.07.2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Amberg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Landratsamt Amberg-Sulzbach verhängte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 12.12.2022 wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 24 Abs. 1 Nr. 3 2. Hs. der 9. BayIfSMV (Maskenpflicht am Arbeitsplatz) eine Geldbuße in Höhe von 75 Euro. Nach Einspruchseinlegung verurteilte das Amtsgericht Amberg den Betroffenen aufgrund der Hauptverhandlung vom 13.07.2023 wegen der vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit des Verstoßes gegen die Maskenpflicht gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV zu einer Geldbuße von 250 Euro. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, den er mit der Verletzung materiellen Rechts begründet. Das Firmenfahrzeug, das von den Mitarbeitern genutzt werde, sei nicht als Arbeitsplatz im Sinne der 9. BayIfSMV anzusehen. Zudem sei § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG verfassungswidrig. Das Bußgeld sei im Übrigen überhöht. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit Stellungnahme vom 21.09.2023 beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, das Urteil des Amtsgerichts Amberg vom 13.07.2023 aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Amberg zurückzuverweisen. Dazu hat sich die Verteidigung mit Schriftsätzen vom 05.10.2023 und vom 14.12.2023 geäußert.
Die Einzelrichterin hat mit Beschluss vom 08.12.2023 die Rechtsbeschwerde gegen das vorgenannte Urteil zur Fortbildung des Rechts zugelassen und die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern zur Entscheidung übertragen (§§ 80 Abs. 1 Nr. 1, 80a Abs. 3 OWiG).
II.
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG zugelassene Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils.
1. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befand sich der Betroffene, der Malermeister ist, am 07.12.2020 mit weiteren fünf Personen in einem Transporter auf dem Weg zu einer Baustelle in Neumarkt in der Oberpfalz. Der Mindestabstand von 1,5 Metern im Fahrzeug wurde nicht eingehalten, keiner der Insassen trug einen Mund-Nasen-Schutz. Das Amtsgericht hat in rechtlicher Hinsicht ausgeführt, dass auch ein Firmenfahrzeug, das von den Mitarbeitern genutzt wird, als Arbeitsplatz i.S.v. § 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV anzusehen sei. Der Betroffene habe vorsätzlich gehandelt, weil er gewusst habe, dass er keinen Mund-Nasen-Schutz trage und dies auch nicht beabsichtigte. Er habe deshalb vorsätzlich gegen die Maskenpflicht nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV verstoßen.
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Betroffene hat schon in objektiver Hinsicht keinen Verstoß gegen § 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV begangen, da das Verhalten des Betroffenen nicht an einem Arbeitsplatz bzw. einer Arbeitsstätte stattfand.
§ 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV sieht Maskenpflicht vor auf den Begegnungs- und Verkehrsflächen der Arbeitsstätte, insbesondere in Fahrstühlen, Fluren, Kantinen und Eingängen; Gleiches gilt für den Arbeitsplatz, soweit der Mindestabstand v...