Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachlaßsache
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Erbscheinsantrag und ein Rechtsmittel, mit dem er weiterverfolgt wird, bleiben zulässig, wenn im Lauf des Verfahrens auf Antrag eines anderen Beteiligten ein Erbschein anderen Inhalts erteilt wird.
2. Zur Auslegung eines Testaments, mit dem die Erblasserin eines ihrer Kinder als Vorerbin und ihre übrigen Abkömmlinge sowie die Abkömmlinge der Vorerbin „zu gleichen Teilen nach Stämmen” zu Nacherben einsetzt.
Nach den gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 2066, 2067 BGB bestimmen sich die Nacherben in diesem Fall erst nach dem Zeitpunkt des Nacherbfalles; vor diesem Zeitpunkt erwerben die als spätere Nacherben in Betracht kommenden Personen kein Anwartschaftsrecht, das sie nach § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB vererben könnten.
3. Die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts nach § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB ist ausgeschlossen, wenn zweifelsfrei Ersatznacherben auch für den Fall des Versterbens der zunächst in Betracht kommenden Nacherben vor dem Nacherbfall bestimmt sind.
4. Zur entsprechenden Anwendung der Regeln des § 1924 BGB auf die testamentarische Einsetzung der Abkömmlinge zu Nacherben.
Normenkette
BGB §§ 1924, 2066-2067, 2108 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Aktenzeichen 3 VI 176/50) |
LG Passau (Aktenzeichen 2 T 80/99) |
Tenor
I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des Landgerichts Passau vom 4. Oktober 1999 wird zurückgewiesen.
II. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 80.000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Die 1950 im Alter von 69 Jahren verstorbene Erblasserin hatte sieben Kinder. Ihr Ehemann war 1946 verstorben.
In ihrem notariell beurkundeten Testament vom 1.7.1950 hatte sie ihre Tochter S. als Vorerbin eingesetzt (Nr. II) und anschließend in Nr. III bestimmt:
„Zu Nacherben setze ich ein meine übrigen Abkömmlinge und die Abkömmlinge der S. zu gleichen Anteilen nach Stämmen, wobei die sämtlichen Abkömmlinge der S. als ein Nacherbenstamm gelten sollen. Die Nacherbfolge soll eintreten beim Tod der Vorerbin.”
Die Vorerbin S. verstarb 1998 kinderlos. Von den weiteren sechs Kindern der Erblasserin, die bei ihrem Tod alle noch gelebt hatten, waren bis zum Nacherbfall vier – unter Hinterlassung von Abkömmlingen – verstorben. Von den sieben Kindern ihrer 1996 verstorbenen Tochter A lebten im Zeitpunkt des Nacherbfalls noch sechs; eine Tochter war 1989 kinderlos verstorben. Ein Sohn ist 1998 nachverstorben. Die Beteiligten zu 3 a) und b) sind seine Erben. Die Beteiligten zu 1, 2, 4, 5 und 6 sind die übrigen noch lebenden Kinder von A. Diese hat mit Testament vom 25.6.1995 die Beteiligte zu 1 zu ihrer alleinigen Erbin eingesetzt.
Die Beteiligte zu 1 hat mit Anwaltsschriftsatz vom 14.1.1999 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Miterbin zu 1/6 nach der Erblasserin ausweisen solle. Sie ist der Meinung, daß das Anwartschaftsrecht ihrer Mutter auf die Nacherbschaft durch Vererbung auf sie übergegangen sei, so daß sie allein Nacherbin anstelle ihrer Mutter geworden sei, nicht auch ihre Geschwister.
Mit Beschluß vom 5.3.1999 hat das Nachlaßgericht ihren Antrag zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die letztwillige Verfügung der Erblasserin sei so zu verstehen, daß sie als Nacherben ihre zum Zeitpunkt des Nacherbfalls lebenden Abkömmlinge eingesetzt habe, so daß die zum Zeitpunkt des Erbfalls noch lebenden Kinder kein Anwartschaftsrecht auf die Nacherbschaft hätten vererben können. Die Beteiligte zu 1 sei damit zwar Nacherbin geworden, jedoch nicht zu 1/6, weil sie nicht das einzige Kind von A sei.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Landgericht mit Beschluß vom 4.10.1999 zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die mit Anwaltsschriftsatz vom 21.10.1999 eingelegte weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 mit den Anträgen, den Beschluß des Landgerichts aufzuheben und das Nachlaßgericht anzuweisen, den von ihr beantragten Erbschein zu erteilen.
Am 26.10.1999 bewilligte das Nachlaßgericht auf Antrag eines Enkels der Erblasserin einen gemeinschaftlichen Erbschein, der u. a. ausweist, daß die Erblasserin durch die sechs zur Zeit des Nacherbfalles noch lebenden Kinder ihrer Tochter A zu je 1/36 beerbt wurde.
II.
Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 ist zulässig (§§ 20, 27 Abs. 1, § 29 Abs. 1 FGG). Der Zulässigkeit der weiteren Beschwerde, mit der der gestellte Antrag auf Erteilung eines Teilerbscheins zu 1/6 weiterverfolgt wird, steht nicht entgegen, daß das Nachlaßgericht nach Einlegung der weiteren Beschwerde auf Antrag eines weiteren Miterben einen gemeinschaftlichen Erbschein erteilt hat, der (u. a.) das Erbrecht der Beteiligten zu 1 abweichend von ihrem Antrag auf Erlaß eines Teilerbscheins ausweist. Ein Erbscheinsantrag ist auch dann zulässig, wenn auf Antrag eines anderen Beteiligten schon ein Erbschein anderen Inhalts erteilt ist; die etwaige Einziehung des unrichtigen Erbscheins ist Sache des Nachlaßgerichts (Staudinger/Schilken BGB 13, Bearb. § 2353 Rn. 21).
In der Sache blei...