Leitsatz (amtlich)
Keine Aussetzung eines Verbandsklageverfahrens mit Blick auf ein zuvor anhängig gewordenes, auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb gestütztes Unterlassungsklageverfahren.
Tenor
I. Der Antrag der Beklagten vom 27. Mai 2024 auf Aussetzung des Verfahrens wird zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Mit Schriftsatz vom 3. April 2024, beim Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen am 4. April 2024 und der Beklagten zugestellt am 6. Mai 2024, hat der Kläger eine Abhilfeklage nach dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz erhoben, die darauf gestützt ist, dass die Beklagte in unzulässiger Weise einseitig die Bedingungen mit zahlreichen Verbrauchern abgeschlossener Verträge über Videostreamingdienstleistungen geändert habe, indem die Verbraucher vor die Wahl gestellt worden seien, entweder ein höheres Entgelt zu entrichten oder eine Verschlechterung der Dienstleistung (insbesondere durch das Einspielen von Werbung) hinzunehmen. Dieses Verhalten stellt nach Auffassung des Klägers eine gemäß § 3 Abs. 1 UWG unzulässige irreführende geschäftliche Handlung im Sinne des § 5 Abs. 1 UWG dar, weshalb die betroffenen Verbraucher, die der Preiserhöhung zugestimmt haben, gemäß § 9 Abs. 2 UWG zum Schadensersatz berechtigt seien. Diejenigen betroffenen Verbraucher, die der Preiserhöhung nicht zugestimmt haben, hätten einen Schadensersatzanspruch aus § 327i Nr. 3 Alt. 2 i.V.m. § 327m Abs. 3 Satz 1 und § 280 Abs. 1 BGB, da die einseitige, nach Auffassung des Klägers unwirksame, Vertragsänderung zu einer Verschlechterung und damit zu einem Mangel des digitalen Produkts der Streamingdienstleistung im Sinne des § 327e BGB geführt habe, den die Beklagte nach der Vermutung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu vertreten habe.
Mit Schriftsatz vom 27. Mai 2024 beantragte die Beklagte, das Verfahren auszusetzen, bis der beim Landgericht München I anhängige Rechtsstreit zwischen dem Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände - Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. und der Beklagten mit dem Az. 33 O 3266/24 rechtskräftig entschieden worden ist. In diesem mit Klageschrift vom 14. März 2024 eingeleiteten Verfahren klagt die Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. gegen die Beklagte des hiesigen Verfahrens aufgrund desselben Verhaltens, gestützt auf § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3, §§ 3, 5 Abs. 1 und 2 Nrn. 2, 3 und 7 UWG, auf Unterlassung. Termin zur mündlichen Verhandlung hat das Landgericht München I mit Verfügung vom 7. Mai 2024 auf den 19. November 2024 bestimmt.
Ihren Aussetzungsantrag begründet die Beklagte im Wesentlichen damit, dass der Gesetzgeber von einer Zweistufigkeit im Verhältnis von Unterlassungsklage (auf der Grundlage des Unterlassungsklagengesetzes oder des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb) einerseits und Abhilfeklage nach dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz andererseits dergestalt ausgegangen sei, "dass zunächst das Verfahren über die Unterlassungsklage durchgeführt wird, in dem für die Abhilfeklage relevante Vorfragen (höchstrichterlich) geklärt werden, und erst im Anschluss über die Abhilfeklage entschieden wird". Der Gesetzgeber habe "es jedoch versäumt, die erforderliche Koordination von auf das UWG/UKlaG gestützten Unterlassungsklagen und parallel erhobenen Abhilfeklagen nach dem neuen VDuG, die sich auf denselben Lebenssachverhalt und dieselben Rechtsfragen beziehen, entsprechend dem überragenden Leitbild der §§ 8, 11 VDuG, §§ 8 Abs. 1, 7 KapMuG und Art. 30 EuGVVO [im Folgenden: Brüssel Ia-VO] gesetzlich zu regeln", weshalb eine planwidrige Regelungslücke bestehe, die im Wege einer "Gesamtrechtsanalogie" zu den genannten Vorschriften zu schließen sei.
Der Kläger ist dieser Argumentation mit Schriftsatz vom 20. Juni 2024 entgegengetreten.
II. Der Antrag war zurückzuweisen, da die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens mit Blick auf das beim Landgericht München I anhängige Verfahren 33 O 3266/24 nicht vorliegen.
1. Wie auch die Beklagte nicht verkennt, gibt es keine gesetzliche Bestimmung, welche die Aussetzung des Verfahrens ausdrücklich erlauben würde. Die einzigen Vorschriften, die sich mit einer Verfahrensaussetzung im Zusammenhang mit einer Verbandsklage (Abhilfeklage oder Musterfeststellungsklage) nach dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz befassen, sind § 11 Abs. 1 VDuG und § 148 Abs. 2 ZPO. Beide sind - ebenso wie die allgemeine Bestimmung des § 148 Abs. 1 Alt. 1 ZPO - nicht einschlägig.
a) § 11 Abs. 1 VDuG betrifft lediglich den Fall, dass ein Verbraucher bereits vor der Bekanntgabe einer Verbandsklage einen Unternehmer individuell verklagt hat und sich nach deren Bekanntgabe der Verbandsklage anschließt, welche sich auf denselben Lebenssachverhalt stützt wie die Individualklage und daraus ein vergleichbares Rechtsschutzziel ableitet (vgl. G. Vollkommer in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024 [Online-Version], § 11 VDuG Rn. 8; Wendtland in BeckOK ZPO, 52. Ed. 1. März 2024, § 148 Rn. 12). In einem solchen Fall ist die Individualklage...